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Nicht die Spülfrauen streiten ums Patent
1963 bekamen Karl Ziegler vom Max-Planck-Institut in Mülheim/Ruhr und Giulio Natta aus Mailand für die Entwicklung neuartiger Katalysatoren zur Herstellung von hochpolymeren Kunststoffen den Chemie Nobelpreis. Polypropylen wurde erst durch diese Entwicklung möglich und wird bis heute mit den damals gefundenen (inzwischen vielfach optimierten) Katalysatoren hergestellt.

Interview vom 9.9.96 mit Dr. Heinz Martin, der damals dem Team von Ziegler angehörte und bis heute im Institut arbeitet.

Nobelpreis
Das ist also Prof. Karl Ziegler vor der Apparatur zur Herstellung von Normaldruckpolyethylen. Das Demonstrative dabei ist, daß man die Polymerisation bei Normaldruck ausführt, also in Glasgefäßen. Alle, die Polyethylen kannten wußten, daß bisher das Polyethylen bei über 100 Athmosphären hergestellt worden war, deshalb das Erstaunliche und Sensationelle im normalen Glasgefäß das machen zu können.
Da gibts doch eine Geschichte dazu?
Wir haben nicht nach dem Katalysator gesucht, es war eine normale Grundlagenforschung zum Herausfinden der Reaktionsfähigkeit von Aluminiumalkylen, das sind Verbindungen des Aluminiums mit organischen Substanzen. Und bei dieser Suche ist festgestellt worden, daß in einem Versuch das Ergebnis völlig unerwartet war.
Durch die Reinigung der inneren Oberfläche des Stahlgefäßes mit einem Reinigungsmittel ist die Oberfläche angeätzt worden und dadurch Nickel freigesetzt worden. Das Nickel aus dem Chromnickelstahl ist dann mit dem Aluminiumalkyl in Berührung gekommen.
Das war natürlich eine Sensation, wie gesagt, wenn man weiß, daß Ethylen bisher nur bei über 1000 Athmosphären polymerisiert worden war und wenn man weiß, daß es ein festes kunststoffartiges Polypropylen überhaupt nicht gab. Man konnte mit den gleichen Katalysatoren, mit denen man bei 1000 Athmosphären Ethylen polymerisierte nicht Propylen polymerisieren.
Man wußte gar nicht, daß das als Werkstoff überhaupt möglich ist?
Richtig.
Das Interessante bei dieser Ziegler-Polymerisation ist, daß praktisch lineare Ketten wachsen. Erst wenn ich das Ethylen durch Propylen ersetze kommt von der Chemie her eine Methylverzweigung, das Propylen hat ja drei Kohlenstoffatome und hat eine Methylgruppe, und wenn ich die Doppelbindung beim Propylen öffne, dann wächst die Kette ganz ähnlich wie beim Ethylen, aber die Methylgruppe bildet eine Verzweigung.
Aber die Ketten selber verzweigen sich gar nicht?
Minimal.
Wie kommt das, daß eins von hunderttausend dann doch eine Verzweigung ist?
Ich glaube, dem Effekt ist man nicht nachgegangen bisher, warum das so ist. Es ist praktisch linear. Das unterscheidet die Qualität von dem sogenannten Hochdruck-Polyethylen. Bei hohem Druck mit Peroxiden als Katalysatoren entstehen langkettige Verzweigungen. Die wirken sich aus, dadurch, daß der Kunststoff eben niedriger schmilzt. Je linearer die Kette ist, umso höher schmelzend ist sie.

Katalysator
Basis für die Kristallinität ist die Taktizität, das heißt die Raumanordnung...
Nein, nein, Basis für die Kristallinität ist der Katalysator, insbesondere das Titanhalogenid, das als kristallines Material eingesetzt wird, also das Titantrichlorid ist ein kristalliner Stoff.
Durch die Raumanordnung des Titantrichlorids wird die Raumanordnung der wachsenden Kette...
...beeinflußt. Richtig.
Das kann man sich wie einen mechanischen Prozeß vorstellen?
Wenn Sie so wollen, ja.
Das nennt man die Stereospezifität des Katalysators, der beeinflußt die Struktur der wachsenden Kette.
Der Katalysator hat dann praktisch eine Düsenfunktion?
Richtig. Die Geschwindigkeit des Wachstums der Kette hängt auch mit dem Katalysezentrum am Titan zusammen. Indem das entstehende Titan-Aluminium-Kohlenstoff-Zentrum dafür entscheidend ist, wie schnell die Kette wächst, denn dieses Zentrum scheint labil zu sein. Und weil es labil ist und zerfällt, wächst die Kette ganz schnell, bei genügendem Angebot an Ethylen (P).
Wenn das Ethylen ausginge, die Abbruchreaktion aber noch nicht eingeleitet ist, würde das einfach zerfallen? Man muß schnell was nachgeben...
... damit das Zentrum erhalten bleibt.
Das erklärt auch, daß man das aktive Zentrum eigentlich kaum feststellen kann, kaum sehen kann. Weil es sich so schnell bildet und wieder zerfällt, daß eine Analyse gar nicht schnell genug nachkäme.
Wenn Sie auf die Theorie und die Wirkung des Katalysators ansprechen: Da ist ein graues Gebiet noch. Man weiß gar nicht genau, wie das funktioniert.
Wenn ein Katalysator hoch wirksam ist, dann können Sie die katalysatische Spezies nicht isolieren, weil er so instabil ist, weil er so hoch mobil ist.
Was hat man denn eigentlich für Mittel, man macht das doch nicht mit REM-Aufnahmen?
Das ist ganz schwierig, die Chose ist heterogen, das passiert an der Oberfläche am Titanchlorid, die für Ethylen und für Propylen zugänglich ist. Das können Sie aber nicht bildlich darstellen.
Das ist dann also ein Klumpen, natürlich ziemlich klein ...
ein Mikrokörnchen...
...was dann doch eine große Anzahl von Molekülen ist und auf dieser Oberfläche, da findet die Reaktion statt? Es sind nicht einzelne, die gasförmig rumfliegen?
Nein, nein, diese Körnchen haben eine sehr große Oberfläche, weil sie nicht glatt ist, sondern eingekerbt. Auf der Oberfläche dieser Kerben, dieser Poren sitzen natürlich auch diese katalytisch aktiven Spezies. Das Propylengas dringt in die Poren ein und kommt an diese aktiven Spezies.
Das heißt, daß da ein Wahnsinns-Igel entsteht? (zeichnet)
Ja!
Aus diesen ganzen Vertiefungen hängen unendliche Mengen von Ketten raus?
...wobei das so schnell geht, daß die Ketten abgespalten werden, durch neues Propylen verdrängt werden. Aber die wachsen rasend schnell und gehen dann vom Katalysator weg.
Man kann das bildhaft gar nicht darstellen; nur durch theoretisch wahrscheinliche Bilder. Sie können die Oberfläche messen, indem Sie sie mit Stickstoff belegen und den Stickstoff auffangen, der da wieder heraus kommt. Das ist aber nur ein indirekter Beweis.
Dadurch kann man die Größe der Oberfläche feststellen, aber nicht die Form...
Richtig.
... Diese braunen Kügelchen, Partikelchen, die Sie im Film als Suspension bei der Bildung des Katalysators ausfallen sehen, die haben eben keine glatte Oberfläche, und diese Poren sind frei zugänglich für das Ethylengas.
Das Wort Katalysator, sagt das eigentlich was aus über die Art des Prozesses oder sagt es nur, daß das ein Substrat ist, was einen Prozeß in Gang setzt?
Ja, es ist die Bezeichnung einer Wirkungsweise, dieser Stoff beschleunigt eine Reaktion, die ohne Katalysator schlecht oder nicht möglich ist.
Aber die Art, wie dieser Prozeß in Gang gesetzt wird, die kann chemisch gesehen sehr unterschiedlich sein?
Die kann sehr unterschiedlich sein, ja.

Pingpong, kristallin
Wie kann man die Materialeigenschaften durch die Katalysatoren beeinflussen? Da spielt doch die Kettenlänge und die Taktizität eine Rolle?
Die sogenannte Kristallinität.
Ist das nicht was anderes?
Nein, nein, das hängt mit der Taktizität zusammen, ist nur ein anderes Wort.
Das kommt ja nur beim PP vor?
Kann nur beim PP. Da muß ich etwas historisch ausholen. Das Polypropylen ist zunächstmal gleichartig wie das Polyethylen hergestellt worden. Man hat natürlich versucht, analytisch die Eigenschaften des neuen Kunststoffes Polypropylen festzustellen und zu charakterisieren.
Und dabei war damals das Infrarotspektrum sehr wichtig, denn man kann daraus erkennen, ob das Material kristallin oder -das Gegenteil- amorph ist. Und es zeigte sich, daß wenn man mit Titanverbindungen katalysierte, daß die Polymeren des Propylens sehr kristallin anfielen.
Und die Konsequenz war, daß dieses Material in einem sehr viel engeren Bereich schmolz, als das Ethylen. Deshalb war die Verarbeitung leichter als beim Polyethylen. Im Laufe der Entwicklung gab man dem Polypropylen den Vorzug.
Um den Kristallinitätsgrad zu beschreiben, spricht man von verschiedenen Formen von Taktizität?
Wenn die Methylgruppen alle auf einer Seite angeordnet sind, dann spricht man von isotaktisch, wenn sie alternierend, aber regelmäßig alternierend sind, dann spricht man von syndiotaktisch. Wenn sie statistisch verteilt ist, die Verzweigung, dann spricht man von ataktisch. Statistisch heißt... zufällig?
Zufällig.
Die festesten Kristalle werden bei diesem hier, beim...
isotaktischen.
Wie kann man sich das vorstellen -ich hab da nur vage Begriffe im Kopf-, es muß doch irgendeine Art von Verbindung zwischen den Molekülketten hergestellt werden, das sind doch diese Van-der-Waals'schen-Kräfte?
Nee, nee, nee. Die van der Waals'schen Kräfte brauchen Sie hier gar nicht. Die Orientierung des Propylenmoleküls am Katalysator erfolgt in dieser Form wenn eine hohe Kristallinität im Titanausgangsprodukt gegeben ist. Dadurch zwingen Sie die Methylgruppen alle auf eine Seite. Und es genügt vollkommen für die Eigenschaften des fertigen Polypropylens, daß ein hoher Prozentsatz an solchen isotaktischen Ketten gebildet wird.
Die Kristallinität bezieht sich wirklich nur auf die sterische Anordnung?
...sterische Anordnung der Methylgruppen relativ zur Kette.
Weiterhin ist es Spaghetti?
Nein, das interessante ist, daß das isotaktische Polypropylen räumlich in Form einer Helixschlange wächst, die sehr regelmäßig ist, sodaß also die Kette sich räumlich wie eine Schlange bewegt, und dann kann man eine sogenannte Einheitszelle (oder Elementarzelle) messen. Das kann man im Röntgenlicht sehen, die wiederholt sich dann. Und dadurch ist die Struktur sehr einheitlich.
Also haben sie doch relativ feste Positionen gegeneinander?
Oh, ja.
Aber sind nicht ineinander verhakt?
Nein, sind nicht ineinander verhakt.
Wie kommt das, daß sie fest sind?
H. Martin: Weil sie kristallin sind. Sie passen in eine Kristallstruktur rein, und der Kristall ist natürlich fester als ein Stoff, der nicht kristallisiert ist.
Welche Kräfte wirken zwischen den Molekülen? Die Kristallstruktur ist doch wenn ich das richtig weiß, auch eine Form von energetischen Verbindungen?
Das ist jetzt sehr theoretisch, was Sie ansprechen. Das zu wissen ist nicht erforderlich für die Eigenschaften des Produktes. Wichtig ist, daß die Ketten in einer Kristallstruktur, wie man sagt Helixstruktur sich bilden, und daß diese Kristallstruktur erhalten bleibt und sich immer wieder zurückbildet, wenn man es schmelzt und wieder erstarren läßt.
Sie können den Kristall im Röntgenlicht vermessen und sehen, daß sich der Kristall durch die Helix wiederholt, das heißt, wenn einmal ein Stück Helix gebildet ist, fängt das wieder von vorne an, es kommt das gleiche Stück wieder. Das heißt, das ist die Elementarzelle, die man vermessen kann und deren Länge man feststellt.
Kommen da nur Daten raus, wenn man das vermißt?
Sie können das Röntgenbild selbst erkennen, aber mit der Computertechnik heute kommt gleich das Datenmaterial heraus.

Einbahnstraße Mailand
Das ist der Schwerpunkt von Herrn Natta gewesen, der sich ja um die Röntgenkristallaufnahmen mehr gekümmert hat als wir.
Das war nämlich der nächste Bereich... Es gab ja zusammen mit Natta den Nobelpreis...
...1963
also erst acht Jahre nach der Entdeckung...
... zehn Jahre.
Waren das unabhängige Forschungsarbeiten, Natta in Mailand ?
Nein das war nicht unabhängig, es war auch keine gemeinsame Arbeitsgruppe. Wir hatten im Jahre 1952/53 vertragliche Beziehungen mit der Industrie und mit anderen Forschungseinrichtungen und eine davon war die Firma Montecatini in Mailand. Montecatini war verbunden mit dem Institut von Herrn Natta in Mailand.
Natta arbeitete nicht für Montecatini?
Er hatte aber einen Beratervertrag. Die von ihm ausgebildeten Doktoranden wurden vielfach von Montecatini eingestellt. Herr Natta hat die Firma Montecatini aufmerksam gemacht auf die Forschungsergebnisse hier im Hause bevor diese PE-Synthese gefunden wurde. Und Montecatini hat mit uns dann sogenannte Kooperationsverträge / Optionsverträge geschlossen um Chemikern, Physikern und Ingenieuren der Firma die Gelegenheit zu geben, die hier entwickelten Verfahren daraufhin zu prüfen, ob sie in der Industrie anwendbar sind. Das war der Ausgangspunkt der Verbindung zwischen Natta und Ziegler. In diesem Zuge arbeiteten hier drei angestellte Akademiker der Firma Montecatini, Schüler von Natta zum Zeitpunkt als hier die Polyethylensynthese gefunden wurde. Man war damals im Zweifel, ob eine Mitteilungspflicht für Ziegler bestand aufgrund der geschlossenen Verträge, und ehe man diese Frage nun wirklich beantworten konnte...
...war es schon da...
H. Martin: ...hat Ziegler die Montecatini- Mitarbeiter informiert über das Ergebnis. Und auf Basis dieser Informationen hat Montecatini in Mailand weitergemacht, und so sind getrennte Forschungswege betrieben worden bei der Weiterbearbeitung von Ziegler-Katalysatoren.
Natta, hat der seine Ergebnisse auch wieder hier rüber gegeben, oder war das eine Einbahnstraße?
Das war eine Einbahnstraße.
Er hat seine Ergebnisse uns nicht mitgeteilt.
Nun muß man auch sagen, es gab Verabredungen über die Schwerpunkte, die jede Partei bearbeiten sollte, aber wir haben keine Informationen gekriegt über die Ergebnisse von Mailand.
Das heißt, die Zusammensetzung des Katalysators kam von hier und diese Einstellung, über die wir gesprochen haben, also welche Form von Taktizität da erreicht wird, das ist eine Entwicklung, die von Natta kam?
Richtig. Natta hat die Katalysatoren auch Ziegler-Katalysatoren genannt, um zu kennzeichnen, woher sie kommen und hat dann durch physikalische Methoden die Titanhalogenide angereichert in Richtung auf hochkristalline Titantrichloride. Und hat dabei festgestellt, daß der kristalline Anteil der Polypropylene steigt. Hat die Struktur ermittelt, röntgenografisch vermessen und hat dann durch Variation der Titantrichloridpräparate festgestellt, daß man auch syndiotaktischen und ataktische machen kann.
Das heißt auch, daß sich der Nobelpreis für den Natta-Teil nicht auf das PE bezog, sondern auf das PP?
...auf das kristalline, isotaktische Polypropylen, auf die Erkenntnis über die Struktur des Polypropylens. In der Laudatio heißt es, daß er bestimmte Ziegler-Katalysatoren gezüchtet hat, um die Stereospezifität der erzeugten Polypropelene zu steuern. Das war der Schwerpunkt.

Was war Ihre Arbeit, 1953?
... unter anderem habe ich mich beschäftigt mit der sogenannnten Copolymerisation, das heißt, ich habe zwei verschiedene Olefine genommen -Ethylen und Propylen- und habe versucht sogenannte Copolymere zu erzeugen, d.h. ein Polymeres, in dem Ethylen und Propylen abwechselnd in der Kette sind.
...eine Kette...
Das geht.
Dann habe ich mich damit beschäftigt, das Kettenwachstum zu steuern, das heißt das Molekulargewicht des Polyethylens zu steuern.
Man will ja wissen, in welchem Moment man abbrechen muß, damit man die Kettenlänge ungefähr steuern kann?
Richtig, wir haben vorhin diskutiert, daß die Kettenlänge maßgebend ist für die Eigenschaft des Polymeren. Wenn ich also -was am Anfang passiert ist- Molekulargewichte von Millionen erzeuge, dann kann ich sie nicht mehr verarbeiten.
Das wird so zäh...?
Das wird so unschmelzbar, daß ich die normalen Extruder nicht mehr einsetzen kann, um das Material zu verarbeiten. Und da ist gefunden worden, daß man durch bestimmte Variationen der Katalysatorkomponenten die Kettenlänge steuern kann. In einem Bereich von etwa 50.000 bis 80.000 Molekulargewicht, da kann man die Ketten wunderschön bearbeiten.
Und in dem Gang habe ich dann auch das Polypropylen gemacht, also aus Propylen die Polymerisation zu Polypropylen, mit Hilfe ähnlicher Katalysatoren wie bei Ethylen.
Wie, das heißt, daß Sie das erste Mal PP dargestellt haben?
Hier im Hause. Der Natta hat ja durch Information von uns den Katalysator erfahren und hat seinen Mitarbeiter Cini angeleitet Propylen auch zu versuchen, und er ist eigentlich der erste, der es gemacht hat. Wir wußten es aber nicht. Das heißt Mailand und wir haben unabhängig das Polypropylen entwickelt.

Eine Putzfrauenerfindung
Ich stell mir vor, daß man doch ziemlich euphorisch wird?
Das ist richtig.
... daß man -im positiven Sinne- nicht mehr weiß, wo man lebt, weil man sich nie vorgestellt hat, daß es auch mal so leicht gehen kann?
Das war beim Polyethylen schon gegeben, denn die Überraschung ein hochschmelzendes Polyethylen so leicht zu bekommen, das hat hier schon Freude ausgelöst.
Die Erfindung hat sich rasend schnell über die ganze Erde verbreitet und es standen hier nachher aus allen Herren Ländern die Leute, die es sehen wollten. Und dieses Experiment, das Sie im Film gesehen haben, haben wir standardisiert allen Interessenten vorgeführt, und hatten natürlich -wie auch bei Ihnen- den Effekt... -insbesondere bei Fachleuten, die wußten, daß man das Ethylen bis dahin nur bei über 1000 Athmosphären polymerisieren konnte, jetzt auf einmal in einem Glasgefäß.
Deshalb war das Interesse vor allen Dingen von Firmen groß, die keine Hochdruckpolyethylenanlagen hatten....
.... und plötzlich in den Markt rein konnten.
Deshalb war es auch von der patentrechtlichen Seite her außerordentlich schwierig, die ersten Jahre, die Patente international durchzubringen gegen den Widerstand derer, die Hochdruckpolyethylen machten. Die wollten das Konkurrenzprodukt verhindern. Allein durch die Verzögerungtaktik sind uns viele Jahre verloren gegangen.
Daß die gesagt haben, sie hättens auch, und dann mußte das drei Jahre geprüft werden?
Richtig, dann geht es in die nächste Instanz, und dann fängt man wieder bei null an. Es hat doch immerhin auch in Deutschland von 1953 bis 1960 gedauert, bis wir ein Patent hatten.
Der patentrechtliche Teil war gespickt mit Auseinandersetzungen der internationalen chemischen Industrie, die zum Teil das Interesse hatte, die Patente zu vernichten oder garnicht erst zur Erteilung kommen zu lassen, weil sie keine Lizenz mehr bekommen hatten. Und andererseits diejenigen Firmen, die eine Lizenz bekommen haben, haben dann industriell das Projekt weiterentwickelt und haben natürlich auch Optimierungsergebnisse schutzrechtlich verfolgt, das heißt, sie haben zusätzliche Verbesserungspatente bekommen. Aber letztlich mußten wir für die gesamte Restlaufzeit der Patente Verletzungsprozesse führen. Die sind auch noch nicht abgeschlossen.
Hoechst hat glaube ich das hier als erste produziert?
Ja, die Hoechster waren einer der ersten, die eine Lizenz bekamen. Und die haben das mit Hochdruck industrialisiert. Haben dann gleich eine Versuchsanlage gebaut, eine halb-technische Anlage als nächsten Schritt und sind dann sofort in die industrielle Produktion gegangen. Sie hatten dann einen sehr großen Vorteil bei Vermarktung des Produktes, aber auch bei der Vermarktung ihres Know-hows. Haben dadurch auch sehr schöne Einnahmen gehabt. (lachen)

Es gab Leute, die haben behauptet, die ganze Erfindung sei eine sogenannte Putzfrauenerfindung gewesen, denn die Spülfrauen haben diese Druckgefäße gereinigt und dabei dieses Putzmittel angewandt, um die innere Wand des Autoklaven, des Druckgefäßes zu reinigen. Schließlich war das der Auslöser für die Erfindung.
Das stimmt dann doch...
...das sind die traumhaften Momente, wo solche Form von Alltag und daß man jahrelang in eine bestimmte Richtung geht, sich plötzlich verbinden.
Deshalb wird diese Erfindung auch als Jahrhunderterfindung bezeichnet, weil solche Entwicklungen vielleicht zwei, drei mal im Jahrhundert vorkommen.
Unerwartet ist es ja immer, wenn etwas passiert,...
Natürlich. In der Nachschau muß man sagen, daß an mehreren Stellen auf der Erde die Möglichkeit gegeben war, sowohl vor unserer Erfindung die gleiche Erfindung zu machen, als auch nachher; dort, wo die Kunststoffe in der Industrie gebraucht und entwickelt wurden, der Markt und die Nachfrage da war. Es gab sehr viele Forschungsteams, die sich mit dieser Frage beschäftigten.
Die an den Katalysatoren arbeiteten?
und...
dasselbe Reinigungsmittel benutzten?
... nahe dran waren auf anderem Wege das gleiche zu finden, aber nur nahe dran. Es war schon spannend genug.
Ich glaube, das Interessanteste an der Patententwicklung ist, daß über die gesamte Laufzeit des Schutzrechtes international und noch länger, also 40 Jahre lang, der damals gefundene Katalysator immer noch angewandt wird.
Heute noch?
Heute noch. Er ist zwar optimiert worden, gewaltig optimiert worden. Die Leistung, die Polymermenge pro Gramm Titan ist natürlich enorm gewachsen, aber es sind immer noch Titanhalogenide und Aluminiumalkyle, die zusammengegeben werden zur Bildung des Katalysators, und genau das war im Originalpatent geschützt. Und das ganze Paket von etwa sechs Anmeldungen enthält im wesentlichen diese Kombination von Titanhalogeniden und Aluminiumalkylen. Das ist ungewöhnlich, denn meistens ist es so, daß die Forschung, insbesondere die Industrieforschung Wege findet, um neue Katalysatorkombinationen zu eröffnen, auch wenn es nur das Ziel ist an den Ziegler Schutzrechten vorbei zu kommen. Und das ist praktisch über 40 Jahre nicht gelungen.

Ich habe neulich mit jemandem von Hoechst gesprochen, einem Spezialist für Metallocene...
das ist jetzt eine Neuentwicklung.
Die sind qualitativ was anderes?
Ja, die sind aber erst wenige Jahre alt und noch nicht industriell umgesetzt, das heißt, man beginnt im Augenblick gerade solche Metallocene in die Industrie einzuführen.

Information, die rast
Ich hatte immer so einen Gedanken, daß der Katalysator sich wie eine Information sich verhält, daß er eigentlich nur der Informationsgeber dafür ist, was passiert und nicht als Substanz im Sinne einer klasssischen Verbindung auftritt.
Die Erklärung würde nicht ausreichen um zu erfassen, daß der Katalysator auch dafür sorgt, daß eine Reaktion überhaupt und dann ganz schnell stattfindet.
...eine rasende Information...
(er lacht)
Sie kriegen wahrscheinlich Bauchschmerzen bei dem Wort?
Nein, nein, das ist schon der Versuch es teilweise zu erklären.
Hier findet die chemische Verbindung ja nur in einem ganz kleinen Moment statt und geht dann weiter. Es ist doch eine vernachlässigbare Menge an Titanchlorid, die danach noch in dem Stoff enthalten ist.
Richtig, aber jedes Propylenmolekül muß solch ein aktives Zentrum finden, damit es überhaupt was tut. Dieses aktive Zentrum sorgt dann dafür, daß es ganz schnell reagiert. Also ist es mehr als die Information. Information ist insofern sehr schön gewählt, weil der stereospezifische Aufbau von dem Molekül des Katalysators aus gesteuert wird. Insofern ist es eine Information, eine sterische Information. Sehr gut.