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Sibylle Hofter
Land der Logistik I
Spoga-Gafa - Sport- und
Garten-Fachmesse, Köln 9/95
Über das hinaus, was Menschen ohnehin verbindet, gab es heute eine Gemeinsam-keit
der Messeaussteller mit mir: Der Blick auf die Stühle als Objekte professionellen
Interesses. Das vollständige Abgelöstsein von der intendierten Freizeitqualität.
Gemeinsam waren uns Fragen nach dem Markt und seinen Gesetzen -wenn auch aufgrund
völlig unterschiedlicher Interessen. Ich verstand das Ganze als eine Maschine.
Als Nicht-Kunde, aber dennoch von Interesse, war ich denjenigen, die sich nicht
identifizierten ein Ventil um sich distanziert zu äußern. Eine Frau
aus der Grazioli-Vertre-tung wies die Möglichkeit einer Betriebsbesichtigung
mit der Erzählung weit von sich, sie selbst hätte bei einem Betriebsausflug
nach Caneto nur die Spielzeugproduktion sehen dürfen, nicht einmal ihr
Chef kenne die Produktion. Man gebe der Konkurrenz auch keine Prospekte. Eine
Lichtorgel stahlte die auf einer diagonalen Plattform installierte Kunststoffhollywoodschaukel
an. Die Vertreterin fand erst mit mir zusammen heraus, daß das Grazioli
Eco-Programm einfach aus Ausschußware der eigenen Produktion zusammengespritzt
wird. Curver zeigte sich in derselben paranoiden Lächerlichkeit, ohne eco,
aber mit transparent-türkisen, gelben und rosa Sitzgelegenheiten. Der Kettler
Marketing-Leiter war in dieser Hinsicht entspannt, hoch genug in der Hierarchie
und weit genug in seinem Leben.
Monos kommen mir nicht nur aus Ohren und Mund, sie wachsen schon aus den Zehennägeln.
Mono, überall mono, diese Kurve, jene Kurve, immer wieder die wunderbaren
Erklärungen. Bei den Israelis trat ein sehr blonder junger Mann auf mich
zu und versuchte mich, obwohl ich nach nichts gefragt hatte, an einen anderen
Mitarbeiter abzuschieben, Messekommunikationskoller. Einmal hatte ich ihn auch,
als ich gerade feststellte, daß die weiße Blockhütte als Blickfang
in einem spezifikationsfreien Programm nicht aus Plastik war, trat eine Geschäftsfrau
auf mich zu, ich begann von München zu erzählen, unterbrach mich mitten
im Satz, hätte eigentlich schon genug und ließ die verwunderte mittelständige
Dame alleine.
Rederhythmus: Man bespricht dauernd dasselbe, viele inhaltlichen Festgelegungen
verdeutlichen in gewisser Weise die Besonderheiten der Menschen, die Nuancen
werden in einer solchen Sprache wichtiger.
Polen mit ihren drei Stühlen, Fototapetenarrangement, einzelnen Tabletts
und Schirmständern, lachten verschämt auf die Frage nach einem Besichtigungstermin.
Sie hätten Geheimnisse. Ich erklärte ihnen, warum mich gerade eine
polnische Firma interessiere, sie lachten weiterhin in ihrer spezifischen Mischung
von Verschämtheit und Verachtung, an die ich mich sofort wieder erinnerte.
Welche Geheimnisse? Produktionsorganisatorische; ich sei kein Spion; da lachten
sie richtig.
Nach den 1½ Tagen Ausnahmezustands-welt irgendwo in einem angenehmen
Café in Hamburg, Köln oder Frankfurt. Ich begreife auf welche Art
ortsungebunden sie in der Hotelbar sitzen, nicht wissen wo sie sind und Orte
für sie keinen Kontext bilden. Die Menschen sind Schemen, Wesen die reden,
die sitzen.
Neben mir zwei Asiatinnen,
verwirrende Kombination: unterordnende Weiblichkeit in Geste und Stimme, durch
die eine inkongruente fast unerbittliche Entschiedenheit hindurchbricht.
Seit Anfang der 80 er Jahre wurden in Europa etwa 500.000.000 Monoblockstühle
verkauft. Da keine offizielle Zahl existiert, ist das eine vage Schätzung,
die aber wohl nicht zu hoch gegriffen ist, wenn man bedenkt, daß allein
der Hersteller des Modells Aurora in den letzten zehn Jahren allein 90 -100.000.000
unter die Leute gebracht hat, und das hauptsächlich in Europa.
High Tech Zirkus I
06.08.95 13:22
Cirque de soleil: Weiß, das Zelt, das Licht, die Autos (-Waschanlage),
Zirkus als mobile Fabrik, statt als Wagenburg; auf den zweiten Blick erst kam
ich auf den Unterschied zwischen Realität und Vorstellung: in einer Flucht
vier weiß blinkende Container mit je mehreren Ausgängen, an jedem
hängt eine Alu-Treppe; drunter türkisblaue Behälter mit hellblauen
Tüten drin. Zwei Monos davor, Gaderobe. Abendlicht nach einem heißen
Tag. Catering-Mobil: Auflieger mit Hardware, und eine nach links ausklappte
Ebene derselben Breite, rechts verbindet ein Vorzelt die Küche mit der
Sitzebene, die ein Auflieger ohne Dach ist, dessen Spanten als Geländer
einer -wieauch-anders- monobestückten Restaurantterrasse dienen. Die Vorstellung
läuft. Nur wenige laufen oder sitzen herum, Entspannung an der Peripherie
eines Ereignisses. Ereignisproduktion als Alltag. Alutreppe führt hinauf.
Orangefarbenes Licht und aufgewirbelter Staub, Bungeespringer an der an deren Seite des Platzes. Leute investieren 100 Mark um einmal zu sterben.
Paderborn, 20.6.96, High-Tech Zirkus II -Einig in der Hoffnung
Farm Lupina, eine Modellfarm
im britischen Truppenübungsplatz ist ein unbewohnter Gebäudekomplex
vor dem die gleichen aus Stahlgittern und Sandsäcken aufgebauten Wachtürme
errichtet sind, wie vor dem ifor-Camp in der ehemaligen VW-Werkstatt an der
Ausfallstraße Mostar-Split. Auch Farm Lupina ähnelt den dortigen
verlassenen Höfen (Wirt in der nächsten Siedlung: Nee, die Briten
sind fast weg, alle in Bosnien). Rot umkreiste Schilder verbieten Panzern das
Befahren der öffentlichen Straße am Rande des Geländes. Mit
Minenwarndreiecken umzäunter hellgrüner feuchter Wald. Abgesperrte
Straßen.
Dann wenig bepflanzte Offiziersreihenhausgärten; Schilder weisen zu Family
Camps für Einig in der Hoffnung in Nebenstraßen. Um das Flugfeld
zu erreichen, durchfährt man Schranken, die vor Lebensgefahr wegen marschierender
Truppen warnen. Duchfahrende Lieferwagen und Diximietklobatterien auf offenen
Pritschenwagen ermutigen zur Nichtbeachtung. Dixis verschiedener Verleihunternehmen,
gelb oder braun-blau extrusionsgeblasen.
Die Wolkendecke läßt Sonne ohne Schatten durch. Auf dem Gras sind verbogene Lochbleche als Straßen in der mobilen weißen Stadt ausgelegt. An einigen Stellen verbreitern zerfetzte Sperrholzplatten die Hauptstraße. Dort errichten Firmen mit anhängenden Subunternehmen Vip-Zelte. Monos, Kunstrasen, eingeschweißte Paletten mit Lebendrasenrollen. Die Techniker drei großer WDR-Ü-Wagen rauchen auf den verzinkten Treppen zu Kabeltrommeln und Computerschnittplätzen. Armdicke Drehstromkabel der verschiedenen Unternehmen, Ton- und Telefonkabel vereinigen sich entlang der Hauptstraße. Auf dem Platz für die 80.000 sind die Kabel teilweise von angehobenen Grasschollen verdeckt. Den Platz erreicht man durch einen Durchgang in der Bretterwand unterhalb eines Wachstuchtempels. Hellblau gestrichene Spanplatten sollen eine Basis für diesen Tempel darstellen. Darauf decken Hauben aus Blasenfolie solide, polyesterbezogene Stühle ab. Eine Firma installiert an der Rückwand des Tempels unter Einig in der Hoffnung ein Bronzerelief. Funkgeräte fahren mit dickreifigen Gefährten (zwischen Gocart und Golfrasenmäher) oder Vespas über die zum Tempelgerüst zentrierten Kunststoffmodulpisten. Alle zehn Meter ein orangefarbener Baustromkasten. Gegenüber ultramarine Hausmülltonnen.
Etwa 75.000 ihrer 78.500 Samsonite - Kunststoffklappstühle sind bereits aufgestellt, leere Paletten daneben. Mit Gabelstaplern werden die letzten eingeschweißten mit 2x125 Stück beladenen Paletten auf den Wegen neben den letzten Freiflächen im Feld der 75.000 abgestellt. Ein Kranwagen lädt überzählige Module der Kunststoff-Durchwegung auf und transportiert sie aus dem öffentlichen Bereich heraus. Kleine Gruppen Ostdeutscher aus Subunternehmen und Ausländer treten jeden aufzustellenden Kunststoff-Stahlrohr Klappstuhl von seiner flachen Transportposition in Sitzposition und stellen ihn mit den Vorderfüßen in U-Eisenrinnen. Jemand läuft rum und legt auf jede Sitzfläche mit je einer Regenpfütze ein grünes Drahtstück. Später zwirbeln Gruppen von Leuten in pink-türkisfarbenen Anoraks je ein solches Drahtstück um zwei nebeneinanderstehende Stuhlbeine. ('Gestern für die Presse, die Glocken die ganze Zeit, das war schrecklich; das Radio über dem Platz das ist gut', ein Interwiew mit Frau Bundespräsident Herzog übers häufige Umziehen, dann ein Bericht Arbeitslose zu verpflichten auch minderqualifizierte Arbeit anzunehmen, unterschnitten mit Felicita und Ideal).
Die katholische Kirche vergibt im Angesicht der wohlgelaunten Hundertschaften von High-Tech-Mobilspezialisten Drehgenehmigungen jeweils nur für wenige Minuten. Der Aufbaumarathon erscheint als beste Visualisierungsmöglichkeit des Bedarfsmangels an kirchlichen Aktivitäten.
-Das Ereignis ist zur Logistik geworden
Außerhalb der 80.00 sind weiße Ottoversand-Pavillions aus Bändchengewebe um verschiedene Siebeneinhalbtonner mit aufklappbaren Theken herum aufgebaut; Frühschoppen für alle. Bundeswehrzelte der Johanniter, deren Konvoi sich im Wald zwischen den Warnschildern verheddert hatte. Mobile Kartentelefone der Telekom zu viert auf eigens gefertigten Anhängern installiert stehen an der Seite im toten Winkel des Feldes.
Jenseits der Hauptstraße liegt etwas abseits die nochmals umzäunte Kolonie der Organisationscontainer. Vor der dickbäuchigen Zwischenkontrolle ist eine Reihe Gabelstapler geparkt. Ein Hesse in einem der beiden Berliner Küchenwagen dort redet gutgelaunt übers Dixiklopapier und die bevorstehende Love-Parade. Aus dem Wachstuch des Mitarbeiter-Catering-Zeltes sind rundbogige Öffnungen mit Sprossen herausgeschmolzen und mit transparenter PVC-Folie verschweißt; diese gestattet einen verschwommenen, fast besoffenen Blick auf die Organisationscontainer. In der hinteren Ecke verspeist der dicke Wachschutzmann auf einem extra Stuhl, einem geblümten Alu-Klappsonnenstuhl, seine mitgebrachte Brotzeit.
Der aufkommende Wind bewegt das Wachstuch des Zeltes so gegen die verzinkten Stangen, daß ein Geräusch entsteht, als löse sich schwitzende Haut von einer Kunststoffläche. In jeder Steckverbindung lauert die TÜV-Genehmigung. Neben der Logistik des Geldverkehrs zeigt sich der TÜV als zweiter großer Formgeber der Republik.
aus: Hannes Böhringer,
Orgel und Container, Merve Verlag, Berlin, 1993
Die Lücke sehen, heißt sie schon geschlossen haben
Der Container ist ein Behälter für alles Mögliche. Was er enthält,
entlädt er. Wenn er leer ist, wird er wieder mit etwas anderem beladen.
[...] Der Container ist kein "Geviert", kein "Ding" (Heidegger),
er ist ein Zwischending, der Behälter zwischen Fahrzeug und Ladung. Er
erleichtert die vorübergehende Beziehung zwischen ihnen, indem er sich
zwischen sie schiebt. (S.11)
Der Container ist ein Provisorium.
Vorläufig und vorübergehend enthält er etwas, vorläufig
und vorübergehend ist er irgendwo hingestellt, immer fertig zum Abtransport
und anscheinend bereit, von etwas Endgültigem abgelöst zu werden.
Doch das Provisorium zieht sich hin. Und wo immer er abgestellt wird, wirkt
er wie ein Magnet der Gleichgültigkeit. Er färbt auf Ladung und Umgebung
ab. Die Dinge in und um ihn herum verlieren ihren Halt aneinander, erscheinen
isoliert und fremd, sie werden ebenfalls zu indifferenten Behältern von
austauschbaren Bedeutungen, inneren Funktionen und äußeren Verkleidungen.
Der Container paßt nirgendwohin, er paßt die Umgebung an sich selbst
an. Am besten passen deshalb Container zu- (in-, auf- und neben)einander. Der
Raum ist zu einem Behälter geworden. (S.12)
[...] Behälter, dem entfällt, was er behällt.
[...] Das Geld [...] ist der ideale Inhalt des Containers. [...] wie der Container seine Ladung, so überdauert auch das Geld das, wofür es ausgegeben werden soll, und zieht es in seine eigene Vorläufigkeit, Austauschbarkeit und Nichtigkeit mithinein. (S.22f)
[...] Das Faß war
ein enger Maßanzug. [...] Der Philosoph im engen Maßanzug konnte
sich kein Durcheinander erlauben. Das Faß war in Ordnung. Es erfaßte
die Welt. Ohne Welt keine Ordnung (kosmos). [...] Der Container ist ebenso Behälter
wie Entleerer. Eigentlich behält er nichts. In dieses Nichts wird die Ladung
geworfen. (S. 18f)
Stuhl oder Bierkasten?,...
zum dritten
Gewicht: Irgendwann schaltete ich nachmittags das Fernsehen ein und schaute,
bis ein Telefonanruf mich zurückholte, eine Ratgebersendung über 'Verpackungsschwindel'.
Dort hatte man diverse Pritstifte und Kunststoffdosen aufgesägt, man sah
sogar den Prüfer an der Découpiersäge. Aus dem Deckel einer
Crèmedose hatte er ein schweres Stück Stahl herausgeschält,
welches zur Warnung geronn, Inhalt und Seriosität eines Produktes nicht
über den Gewichtseindruck abzuschätzen.
Das mangelnde Gewicht der Monos ist einer der Aspekte, warum er im Gegensatz
zu einem gepreßten Porzellanteller als Schatten empfunden wird. Hätte
sich eine leichtgewichtige Campingausgabe in den Tellerstapel geschoben, wunderte
man sich sofort, schätzte sie als irreal ein und stellte sie zurück.
Um Tischplatten Gewicht und Volumen zu geben, verwendet Fa. Hartman Recyclingmaterial
als Kern. Bei 6,90 p/Stk verlangt niemand in dieser Weise an der Nase herumgeführt
zu werden, vielmehr ist er froh die erworbene Viererserie, auf dem Beifahrerteil
seines Vespasattels nach Hause fahren zu können, mit der linken hinterm
Rücken das Gepäck im Lot haltend.
Material: Über die Anmutung von Kunststoff ist vielleicht genug gesagt
worden.
Schatten: Das was vor Bar 'ohne Ende' steht, ist der Schatten des Spritzgußwerkzeugs.
Solange die Herstellungsprozesse nicht bewußt sind, kann er als Gegenstand
hingenommen werden.
Name: Daß er namenlos ist, läßt Verdacht schöpfen, denn
der terminus technicus ist -trotz millionenfacher Verbreitung- dem Freiluftcafébesucher
nicht geläufig.
Sitz-Gelegenheit: Das Nicht-Sitzen wird mit benannt. Der Begriff Stuhl benennt
dies nicht. Eine Gelegenheit, benennt keinen Gegenstand, sondern eine Konstellation.
Sie beschreibt den Moment und den Platz, da ein Lebewesen auf etwas interessantes
trifft (gelegen sein). Die Gelegenheit kann auf einen Zweck hin konzeptioniert
sein. Dabei beinhaltet sie aber das Zusammentreffen dieser Vorkehrung mit dem
Zufall, -sie macht möglich.
Der Stuhl bezieht seinen Sinn allein aus dem Draufsitzen.
Spreche ich von einer stapelbaren Sitz-Gelegenheit, so benenne ich bereits die
Form, die das Nichtsitzen auf der Gelegenheit optimalerweise annehmen wird.
Die Stapelbarkeit ist mit einiger Intelligenz entwickelt und läßt
sich auch aus einem einzeln stehenden Mono kaum wegdenken: was irgendwo steht,
ist immer ein Teil des Stapels. Die meist existierenden Vier-Sechser-Abschnitte
des quasi unendlichen Stapels sind dreidimensionale Wurstscheiben. Nicht ganz,
denn eine Wurstscheibe zeigt sich eindeutig als Abschnitt aus einem ganzen Block.
Hier handelt es sich um einen Gegenstand, der auf der einen Seite aufgrund seines
Zweckes als eigenständig wahrgenommen wird, aber Teil eines Stapels ist,
er ist eine vorgeformte Wurstscheibe, die erst durch Zusammenfügen zur
Wurst wird. Der Stapel wird immer nur als Ausschnitt auftreten, denn er hat
keinen Beginn und keinen Anfang: Man könnte die Welt mit einer Schlange
ineinander geschobener Auroras umrunden und wenn man wieder in München
ankäme den letzten in den ersten schieben, ohne daß eine Spur die
Stelle jemals wieder identifizierbar machte. Die Form des Monos ergibt sich
also in diesem Zusammenhang aus den Zwecken Sitzen und Nicht-Sitzen. Das Nichtsitzen
ist ein ebenso deutlich wahrnehmbarer Grund für ihn, wie das Sitzen. Im
Vergleich zu spritzgegossenen Kunstoffschüsseln liegt eine Steigerung darin,
daß die Stapelbarkeit für die Form in einer vom erwarteten Bild eines
Stuhls abweichenden Art und Weise maßgeblich ist. Außerdem finden
sich selten mehrere Kunststoffschüsseln derselben Ausführung unter
der Küchenspüle. Bei den Schüsseln spielt die Stapelbarkeit also
meist nur im Vertrieb eine wesentliche Rolle. Im Alltag wird sie soetwas wie
ein Einzelstück. (Die Stapelbarkeit ergibt sich hier auch aus dem Produktionsprozeß,
würde man die Seitenwände nicht nach unten konisch verjüngen,
sondern zylindrisch oder Quaderförmig gestalten, vervielfachten sich die
Werkzeugkosten, da nur ein konischer Spritzling leicht von den Formhälften
ablösbar ist.)
Zurück zur Frage nach dem virtuellen Ganzen des Stapels, dessen Anfang
bereits fragmentiert auf irgendwelchen Müllbergen herumliegt oder wahrscheinlicherweise,
zu Fernwärme und Schlacke verfeuert ist und dessen momentanes Ende gerade
an pneumatischen Saugfüßen hängend aus der Spritzgußapparatur
gewackelt kommt.
(Nach etwa 300.000 produzierten Stücken kommt eine Zäsur, die Spritzlinge
bekommen Bärte, die Werkzeugkanten sind unscharf geworden. In der Werkstatt
werden sie ersetzt; dabei wird neuerdings der Firmenname in die Rückenlehne
eingefräst. Dann gehts weiter, der Ausstoß kommt dem Modell wieder
näher.)
Die Frage war: Welchen Stellenwert kann ein Gegenstand haben, der weder ein
Ausschnitt aus einem Ganzen ist, noch eine Form hat, die anders, als auf das
Ganze bezogen denkbar ist? Erschwerend kommt hinzu, daß das Ganze obwohl
endlich, nicht abgeschlossen ist. Ein Auto besteht ja nicht gleichzeitig hinsichtlich
der Vereinigung, die es im Stau mit anderen eingeht. Zu diesem Zweck oder auch
zum Zwecke des Nicht-Fahrens/Parkens ist es in keiner Weise besonders geeignet.
Während der Kotflügel seinen Sinn allein aus dem Eingefügtwerden
in ein abgeschlossenes Ganzes bezieht.
Das bereits erwähnte Geschirr wird den Monos in dem Moment ähnlich,
da seine Form z.B. als Kantinentasse besondere Merkmale der Stapelbarkeit aufweist,
die ohne Nachzudenken vom Benutzer als solche wahrgenommen werden; abgesehen
davon, daß sie oft auch aus Kunststoff gefertigt sind. Verirrt sich eine
solche Tasse als einzelne auf ein privates Küchenbrett, so bleibt sie,
durch ihre Form definiert, Teil des Stapels aus dem sie entwendet wurde. Der
ist, wie beschrieben, Ausschnitt eines Stapels 'ohne Ende'.
Positiv könnte man dies als Teilhabe am Großen Ganzen formulieren,
wie den Genuß einer Cola oder das Tragen einer Markenjeans. Mit dem entscheidenden
Unterschied, daß es sich hier um ein namenloses Ganzes handelt, während
alle attraktiven Teilhaben mit dem Genuß des weltumspannenden Namens/Identität
verknüpft sind. Es handelt sich hier also um eine Teilhabe an einem Ganzen
ohne Identität. So wird auch niemand bereit sein mehr zu zahlen, nur weil
es sich um den unlösbaren Teil dieses Ganzen handelt. Eher umgekehrt: aufgrund
des niedrigen Preises ist man bereit diese identitätlose Teilhabe in seine
nächste Umgebung hineinzulassen.
Die Stapelbarkeit läßt sich nicht, wie bei den Schüsseln geschehen,
aus den Erfordernissen der Spritzgußtechnik ableiten. Das Konische als
ein Hauptgestaltungsprinzip eines Spritzgußteils bleibt selbstverständlich
erhalten, um aber einen stapelbaren Armlehnstuhl daraus zu entwickeln, bedarf
es besonderen räumlichen Vorstellungsvermögens. Der Gegenstand kann
nicht nur aus dem Spritzgußwerkzeug heraus gedacht werden (möglichst
wenig Teile, die nach verschiedenen Richtungen voneinander getrennt werden müssen,
mindestens zwei, Schüsseln etc., Stühle sind nicht mit weniger als
drei Werkzeugteilen zu schaffen). Gleichzeitig muß er aus den Erfordernissen
der Stapelbarkeit heraus gedacht werden, wobei das konische Prinzip auch eine
wichtige Rolle spielt: Weil die Beine einen L-förmigen Schnitt haben und
um etwas mehr als die Wanddicke dieses Ls ausgestellt sind, wäre die Form
eines stapelbaren Hockers dieselbe wie die eines bloß spritzgegossenen.
Mit der Einführung der Lehne wird es notwendig das Werkzeug in drei Teile
zu segmentieren, die sich nach verschiedenen Richtungen öffnen. Dies nenne
ich hier einmal einen dreidimensionalen Prozeß, während dementsprechend
die Fertigung eines spritzgegossenen Hockers ein zweidimensionaler wäre.
Sollen die Rücken- und Armlehnen verbunden werden ohne die Stapelbarkeit
zu beeinträchtigen, muß die gemeinsame Lehne von den Hinterbeinen
des darauf zu stapelnden Stuhls durchstoßen werden, ohne an ihr festzuhaken.
Der Stapelungsprozeß ist in der oben beschriebenen Bedeutung ein zweidimensionaler
Prozeß. Die gestalterische Freiheit, die durch die Dreiteilung des Werkzeugs
gewonnen wird, muß also in Hinsicht auf diese Zweidimensionalität
der Stapelung genutzt und eingeschränkt werden.
Diese Beschreibung der Konstruktionsprobleme kreist die Antwort auf die Frage
etwas ein, welche Position der Monoblock im Raum zwischen Einzelgegenstand und
Ausschnitt eines virtuellen Ganzen einnimmt. Hiermit wird er zum Teil zweier
Ganzer, des Stapels und des Werkzeugs. Daß er nicht ohne sein Werkzeug
zu denken ist, spielt in der Realität seines auf-dem-Balkon-Stehens im
Gegensatz zur Stapelbarkeit keine bewußte Rolle. Das einzige, was der
Balkonist ohne Hintergrundwissen von diesem Zusammenhang wahrnehmen kann, ist
das einheitliche Konstruktionsschema, das auf keinem der umliegenden Balkone
und Freiluftcafés durchbrochen wird. Ohne Wissen um Gußtechniken
kann er so auf ihre Notwendigkeiten rückschließen.
Diese Notwendigkeiten vermitteln sich zunächst als Gefühl (von dem
auch ich ausgegangen bin). Das heißt, die Fragen stellen sich aus dem
Gegenstand selber.
Sie lassen sich zwar besser einkreisen, wenn man sich den Produktionsprozeß
klarmacht, der Gegenstand selbst ist es, der diese Fragen aufwirft.
Diese Fragen waren bereits im ersten Entwurf spontan als Thesen formuliert:
'Er ist kein Stuhl, sondern ein Bierkasten, auf dem man sitzen kann'. Die statements,
die uns bereits zugegangen sind, bestätigen das: Aufs unterschiedlichste
formuliert findet sich dieser Gedanke in fast allen. Die meist mündlich
formulierte Gegenposition ist eher eine Nicht-Position, die ihn als billige
und praktische Selbstverständlichkeit hinnimmt und manchmal fragt: was
ist mit Recycling?.
Der Film-Videos in der Ausstellung Arbeitsbericht und Parallelität - Filmzeit
Wie zu Anfang schon gesagt,
gehört als gleichwertiger Teil ein Film für das ZDF, Kleines Fernsehspiel,
zum Aurora-Projekt.
In dem Rahmen sind u.a. die Interviews entstanden. Auf dem Königsplatz
haben wir 3 Tage mit 2 Kameras den Auf- und Abbau von 9.000 Monoblocks für
das Liza-Minelli-Konzert gedreht. Es gibt Einzelbildanimationen, (Objektanimationen,
wie wachsende Stühle und Verwandlungen der Realität in Draht).
Aus einem Teil der Aufnahmen sind die Videos für die Ausstellung entstanden.
Diese sollte man eher als einen Zwischenbericht, denn als Filme auffassen.
In Ausstellungen finden
optische und akustische Ereignisse parallel statt. Dort macht der Zuschauer
die Zeit, bleibt stehen, geht weiter...
Der Film dagegen ist ein Ereignis, das im wesentlichen daraus besteht, Bilder
und Töne in einen linearen Zeitrhythmus zu setzen.
Deshalb ist ein Band in einer Ausstellung etwas entschieden anderes als ein
Film.
Land der Logistik II
Norditalien ist der Hauptproduktionsstandort
in Europa. Einer der größeren Herstel-ler, die Firma Progarden, die
unter anderem das Modell Aurora produziert, stellt 10 Millionen Monos im Jahr
her, ist damit aber weit von einer Monopolstellung entfernt.
Alles zusammengenommen produzieren sie ca. 18 Millionen spritzgegossene Gar-tenmöbel
mit insgesamt 190 Mitarbeitern.
D.h. sie brauchen für
95.000 Stühle im Jahr einen Mitarbeiter. Also wird für knapp 50 Pfennig
an jedem Stuhl gearbeitet (aus den Maschinen genommen, verpackt (80%, gelagert
und verwaltet 20%)
Materialherstellung, Transport und Verkauf kommen dazu.
Von 1989 bis 1992 hatten sie ihre großen Produktionssteigerungsraten.
Große Firmen in Deutschland, Holland und Frankreich produzieren breitere Produkt-palletten mit mehreren tausend Angestellten (u.a. Gartenmöbel aus Metall oder Holz, Kissen, Zelte, Fahrräder, Badezimmereinrichtungen, Spielzeug etc.). Aber auch Kettler und Hartman sind noch Familienunternehmen.
Der Ladenverkaufspreis setzt sich nach meinen Recherchen in etwa so zusammen:
Produktion
pro-ducere 1a) vor-führen b) Truppen ausrücken lassen, 2a) weitervorziehen
b) weiter ausdeh-nen c) hervorbringen (auch erziehen) d) (zeitl.) hinhalten
e) jd. befördern -productio - das Hin-ausschieben, (pro-dare weiter-geben/
hervorbringen
OTTO -die Symmetrie
Die Festung: Ein unübersteigbares Drehkreuz, welches sich durch eine passende
Codekarte in Bewegung setzen läßt. Rot als Firmenfarbe, und PP ist
der Werkstoff. Es werden Normbehälter für das hergestellt, was bis
vor ein paar Jahren noch Abfall hieß. Was sollen wir hier? Neuruppin:
Wir sind ausgezogen um Monoblockstühle anzuschauen und landen bei der Firma
gegenüber, dasselbe Material, dieselbe Technik.
Farbcode: braun-bio, blau-Pappe, gelb-Duales System und grau-der dreckige Rest,
Glas hat keine Farbe.
Saaltochter, 17.09.1995
Ein Einfamilienhaus aus DDR Zeiten, eine Familie, die den Geruch des kleinen
Sees ausgenutzt hat um ein Sonntagscafé zu eröffnen, die Tochter
macht mit und eine Saaltochter, ich hatte nie den Eindruck je eine gesehen zu
haben. Ein Paar vor zwei Kännchen: er sagt er könne nicht lesen, ohne
daß seine Gedanken woanders sind, fernsehen nur wenn etwas Interessantes
käme. Eine Familie, die von Eis oder Waffeln redet, an allen Tischen wird
auch geschwiegen.
Progarden- Formbau
Halle hinterm ehemaligen Wohnhaus der Familie Proserpio. Werkzeugschlosserei:
15 Arbeiter und Werk-zeugbauer sägen, schweißen, bohren, fräsen,
schleifen. Sie stellen mit großer Sorgfalt Ersatz für abgenutzte
Formen her.
In einer Ecke eine Karavane alter Polyesterprototypen.
In einer 6x10 Meter messenden Grube ist eine Lochfräse gelagert, bei deren
Arbeit nicht das Werkstück um den rotierenden Fräskopf bewegt wird,
sondern die gesamte 5 Meter hohe Maschine so schwingt, daß das Loch die
gewünschte Form annimmt.
Ein älterer Meister bearbeitet eine fast fertige Spritzgußform mit
einem Zahnarztbohrer. Die Bohrmaschine sieht aus wie ein Tier, dreißig
Jahre alt und fährt schwenkbar auf einem dreirädrigen Wägelchen.
Hier entstehen massive Objekte, deren Komplexität, Handwerklichkeit, Kraft
und matter Glanz für den Be-trachter in krassem Widerspruch zu der Labberigkeit
der erzeugten Sitzgelegenheiten stehen.