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  Indem ich etwas von mir zeige, spreche ich über das perspektivische Sehen, darüber, daß sich niemand von seiner eigenen Perspektive verabschieden kann.
Je mehr ich über die Grenzen und Möglichkeiten dieses perspektivischen Sehens rauskriege, desto mehr kann ich über seine Position erfahren.
Deshalb bleibt es nicht aus, auch über mich zu erzählen.

11.08.95 02:01
Hi K.
shit, nein, war doch nicht in Paris, wahrscheinlich hast du das bemerkt.
Heute war ich auf einer idyllischen merkwürdigen fremden Archäologen- Altorientalistenparty, und als ich nach Hause kam merkte ich, daß ich mir dort die Stirn verbrannt habe, indem ich mir recht idiotisch Wachs über sie gekippt hatte, hm... sieht aus, wie die Landkarte von Gorbatschow.
Eigentlich gehts mir mit meinem Monoblock-Kunststoff-Scheiß gut, d.h. ich krieche in die Moleküle, wie bewegt sich dieses und wie dieses Elektron? Es soll nicht ein System die Sache lenken, sondern die Nase. Und die Nase ist nunmal nur der Schnorchel des Staubsaugers, und die Filtertüte gehört aspirin-verflüssigt auch dazu.
In letzter Zeit habe ich oft den Eindruck Ereignissen beizuwohnen, die außerhalb stattfinden. Obwohl viele Leute da sind, erscheinen sie privat: Es gibts ne riesige Kurdendemo, die es für mich nur gibt, weil ich Adam (dem Freund aus Lodz) etwas bringen will;... oder der Christopher Street Day, weil ich in der Stabi noch Bücher verlängern muß.
Vielleicht kommt das aus der vollständigen Abwesenheit einer Regierung, alles scheint nur noch zu passieren, die Zwangsverabreichungen, dessen was öffentlich genannt wird, das Hineinfallen ins Fernsehen, gibts seit längerem nicht. Komisch. Vielleicht geht dir das eh immer so. [...]
Ich finde mich auf einmal an einer Straßenecke; im Zweifel, wo ich hinfahren soll; die Autos rasen, die Sonne brennt und ich stehe ne viertel Stunde das Rad zwischen den Beinen und denke darüber nach, wo ich hinfahren soll, irgendwann prügele ich mich aus dem Zustand raus und sage mir, daß die schlechteste Entscheidung die ist hier zu stehen und zu leugnen, daß kein Ergebnis mehr kommen wird. Das Anhalten. Meistens habe ich das einige Zeit zurückgedrängt, und dann reißt der Faden. Pläng. Will funktionieren. In meinem Sinne. Gnadenlos. Dann rasen die Autos, fahren, machen, erledigen, funktionieren.
Irgendwie zieht man sich wieder hoch an der Kante, denkt sie ist zu brüchig, aber plötzlich wieder wach.
Gute Nacht
S.

[8.94]
Alles aus Draht. Getränkemarkt: Auf Paletten gestapelte Flaschenkästen, ineinandergeschobene, miteinander verkettete Einkaufswagen. Eines dieser High-Tech Provisorien. Monoblockstühle gestapelt.
Ein Cassettendeck von den Angestellten zu ihrer Ablenkung selbst mitgebracht in einer Art Pausenecke mit einem durch den passenden Tisch gebohrten Sonnenschirm, drinnen; auch einer draußen vor dem Laden.
Viele ziemlich abgegessene Verkaufsregalmeter. Auf dem Tisch ein Topf und ein Teller, beide mit Spaghetti.
Draußen eine Drahtwolke über der Straße und das Sonnenschirm-Tisch-Stuhl-Arrangement.

Das überschwengliche Geformt-sein.
[5.95]
Die Anfänge des Kunstoffs: Kolonial, die Kolonien liefern Rohmaterialien, Beweggründe sind Verbilligung, also Ersatz, nicht Verbesserung. Die vierziger Jahre sind, wie wir sie erwarten: eine Unzahl von Möglichkeiten, harte Industrie.
Auch ist das Hauptcharakteristikum der Kunststoff-Formen, ihr überschwengliches Geformt-sein, noch nicht da. Abgesehen von keramischen Werkstoffen, Metall und Glas gab es bis dahin keine plastischen Massen, d.h. bis dahin wurde durch Abnehmen von Substanz geformt. Konstruktionsprinzip war das Zusammenfügen einzelner Elemente: ein Stuhl bestand aus verschiedenen Modulen.

Modul: Maßstab (modulus), Grund-maß, Model, Modell, Modus, Mode

Ersatzstoffe
Befasse ich mich mit den Anfängen des Kunststoffs, so muß ich mich mit dem Wesen des Ersatzes befassen. Die frühere Industrialisierung (bis etwa zur Weltwirtschaftskrise) war, in Bezug auf die heute sogenannten Verbraucher eine Inflation der ersetzten Stoffe: Perlen, Seide, Silber, Fischbein, Tapete, Teppiche, Spitze/ Gaze, Horn, Leder, Kaffee, Marmor, Theater, Ahnenmalerei, Konzert, Honig, Fleisch, Vanille/ Rum/ Erdbeeren, Ei, Ebenholz, Elfenbein, Schnitzerei, Weißwäsche, Geld, Kutsche, Kristall, Mineralwasser, Kork, Stein. Mancher Ersatz war von vorneherein Luxus: Zentralheizung und elektrisches Licht, Fahrrad und Straßenbahn (die Pferdebahn beschreibt den umgekehrten Weg: die Idee mit den Schienen im städtischen Verkehr ist wohl ein Vorgriff auf die zukünftige Antriebsmethode, die die Schienen erst sinnvoll macht).
Das ist die Zeit der Angestellten, der bescheidenen Überschüsse für eine wachsende Zahl von Leuten, die im Gegensatz zu den Handwerkern mit neuartigen Arbeitsplätzen ihren Unterhalt verdienen. Eine neue Art von Mittelschicht.
Damit hängt auch die Frage zusammen, was den Ersatz plötzlich akzeptabel macht, Handwerker und Bauern finden sich als letzte mit dem Surrogat ab. Es ist eine Kultur, die sich auch immer mehr mit Abbildern beschäftigt. Bei Kino, Photo-graphie und Tonaufzeichnung werden schnell die über den Ersatz hinausgehen-den Qualitäten der neuen Medien klar. Menschen, die Modelle, Surrogate, Illu-sionen, Reflexionen akzeptieren. Wünsche werden in der Art industrialisiert, daß sie nach dem Unmöglichen schauen. In einer Welt, in der so vieles möglich geworden ist, was niemals auch nur in Betracht kam -Fliegen- ist das naheliegend. Ersatzstoff und Freud gehören derselben Welt an. Bauchschmer-zen, Kinder und zuwenig Geld, Zentri-fugalkräfte bleiben.
(Halwe Hahn und Kölscher Kaviar sin natürlisch schon äältr.)

C: 'Ersatz' existiert im Englischen als deutsches Wort.

Identität
Kunststoffe aufgerückt: Radio, Telefon und Auto sind ohne sie kaum denkbar. Diese ihnen adäquaten Anwendungen haben sie vom Geruch des Ersatzes befreit und zu Eigenleben verholfen, pathetisch ausgedrückt: im Zusammenwirken mit diesen Technologien haben die Kunststoffe ihre Identität gefunden.
Auch anderer Ersatz wurde zur integralen Realität: Das Kino, als Theater- und Ereignissurrogat begonnen, brauchte nur ein paar Jahre um als vollwertige Kristallisation von Gefühlen akzeptiert zu werden. Die Realität des Kinos wurde unabhängig, oder wollte jemand in den wilden Westen reiten und dort Indianer totschießen? Ich gebe zu, die Übersichtlichkeit der zelluloidenen Gefühlswelten regt damals wie heute zur Verwirrung darüber an, was denn nun die realen sind.


Vierbeinigkeit
Der Stuhl ist mit Bett, Becher, Rad und Messer einer der archaischen Gegenstände.
Stühle existieren vornehmlich in den kälteren Regionen der Erde, vielleicht sind sie auch deshalb zu einer Art Signet unserer Zivilisation geworden. Ein Stuhl kann einen Menschen ersetzen, die Abwesenheit einer Person wird durch einen leeren Stuhl so deutlich, daß er schon fast nicht mehr abwesend ist.
Sitzen ist ein Zustand zwischen Stehen und Liegen, es kann also äußerst aktiv und äußerst entspannt sein. Gesessen wird beim Essen (Pause), beim Warten (auch Fahren) und bei sog. sitzenden Tätigkeiten, wie Geschäftemachen (Verhandeln) und Umschichten von Papier. Sitzgelegenheiten für diese Arbeiten sind am weitesten vom klassischen Stuhl entfernt, das kaum umgängliche Prinzip der Vierbeinigkeit wird hier meist durch eine einzige senkrechte Mittelachse gebrochen, die sich nach unten hin nicht etwa in vier, sondern in fünf Rollen aufgliedert. Deshalb kann man bei diesen Sitzgelegenheiten nicht von Stühlen sprechen. Der Sessel hat sich schon in den 60er Jahren auf seinen eigenen, vom Stuhl unterschiedenen Weg gemacht: Sessel sonderten sich ab, indem ein beachtlicher Teil ihrer Vertreter den Bauch auf den Boden auflegten.

Provisorium & weiße Prähistorie
Monoblock: Was als Provisorium begann, ist zum Dauerzustand geworden. Das Beimengen von Bordeaux- oder Resedafarbkörpern verwandelt das Produkt in eines, das sich seiner Umgebung anpaßt, es hat sich von seinem Stammvater, dem Pilskasten gelöst. Obwohl auch der Pilskasten nicht mehr weiß ist, ist das Weiß doch die unbedachte Ursprungs-Nichtfarbe, die die Prähistorie des Produktes bezeichnet. Das Weiß deutscher Lieferwagen und Küchenmaschinen.
In der vorgeschichtlichen Welt stellen sich die Gegenstände als weiße Leinwände dar, dann wird der Partyservice oder die Baufirma aufgedruckt: die Geschichte hat begonnen. Die Gegenstände werden über ihre Farbigkeit bestimmten Umgebungen zugeordnet, das Zeitalter der Spezialisierung hat begonnen, selten hatte sich ein Gegenstand derart umfänglich im vorgeschichtlichen Zustand gehalten.

 

 

 

Monos hier und überall

5.8.95 Ein Laden
Russische Immigranten haben in Friedrichshain einen Laden aufgemacht, einen für alles, und auch Pelmeni Pirogi Bortschsch, Chips, Bier, Pralinen, Eis ist fast weg, weil sie im Moment nix kriegen, die Verteiler kommen nicht nach mit dem Liefern, nur noch Scholade-Magnum, Dolomiti, die Ladenhüter der Kühltruhe gehen jetzt auch weg. Die Besitzerin beschreibt das. Sie macht das hier, ihr Mann ist fast immer in der Stadt, bringt selten Geld, es scheint, sie erträgt ihn, soll er sein wo er ist, nur nicht zu oft hier herum. Sie strahlt aus, daß sie sich selbst zu helfen weiß, erbittert, ein Zahn fehlt, sie ist aber jung, dort fehlt fast allen ein Zahn und hier ist das wie die BVG-Karte für Sozialhilfempfänger. Die Züge mit den vollgestopften Taschen, das Vordrängeln derer mit Geld am Botschaftsgitter, das Putzen, die schlabbrige Arbeit im Staatsbetrieb, der am Schluß nicht einmal mehr dazu nutze war Rohstoffe herauszuschleppen. Jaroslaw, über der Wolga eigentlich ganz schön, nur 200 km hinter Moskau, die Innenstadt gestrichen in matten sanften Kalkfarben, ein Hotel, eine Bank, Sonne, Schnee, ein befestigtes Kloster und ein paar Nachkriegsblöcke, Heizungen, die immer heizen, die früh gealterten Eltern, am Stadtrand. Von Deutschland aus was Geld schicken. Sie spricht deutsch, aber sie kann nicht sagen, was sie hier will. Trotz fehlender Toiletten haben sich hier ein paar quasi private Monoblockstühle eingeschlichen, es gibt da zwei legale Stehtische mit hohen Hockern und, diese von unten betrachtend vier Monos; auf einem dämmert ein eingeborener ostdeutscher Alkoholiker, ein anderer hält sich am Tisch fest, sie nimmt keine Notiz von ihnen, solange sie Platz lassen für die, die reinkommen und Zigaretten holen, solange verkauft sie ihnen auch Korn. Sie ist dies Schneckentempo nicht nachvollziehbarer Gedanken gewohnt, die Bewegung, das Anschwellen des Geruchs im Sommer, und diese dumpfe Geselligkeit, beieinanderstehen. Wie hart sie auch ist, solange sie sie nicht rausschmeißt fühlen sie sich warm bei ihr, all das Übersehen dieser Armut hat sie unsentimental gemacht, ich frage sie, ob die russischen Männer tiefsinnig sind, oder wehleidig? sie versteht -Männer, daß ich eigentlich nach den Frauen frage, irgendwann kann ich sie dann auch fragen, ob sie meint, die Frauen seien hart geworden von der Idiotie der Männer, sie sagt ja, deshalb wolle man Kinder.
Sie kocht hier, auch wenn sies oft selbst essen muß und mit den Pennern teilt, die dann stundenlang drübersitzen und nix runterkriegen, wenn mans ihnen aber wegnimmt protestieren sie. Nur denen nichts wegnehmen. Also eigentlich gibt mans ihnen nur. Der Rest hat keine Bedeutung mehr: zu wässrig oder fettig, schon kalt.

"Hartman ist Genuß" , Enschede, Niederlande Spritzgußanlage
Etwa 30 Automaten unterschiedlicher Größe: man muß genau schauen, um zwischen all dem Geschläuche die einzelnen Funktionsteile zu identifizieren. Mit 200 Atmosphären wird das zähflüssige heiße Plastik reingespritzt und in die kleinsten Hohlräume gepreßt. Folgerichtigerweise ist der eigentliche Guß nicht zu sehen.
Die Form ist aus 15 Tonnen Stahl gefräst und erodiert.

Ritardando
Hinter zwei verschmierten Glasscheiben ist ein auf zwei Seiten von gewaltigen Hydraulikzylindern gehaltenes kompaktes Stahlteil zu erkennen. Warten. Der Prozeß strahlt eine befremdliche, fast humane Langsamkeit aus.
Plötzlich nach ca. 40 Sekunden, während derer nichts zu sehen gewesen ist, öffnet sich das Werkzeug. Das Saugnapfwesen von hoch oben setzt sich abrupt in Bewegung und saugt das im Vergleich zur Umgebung winzige, mikrige gespritze Teil an. Zeitgleich drücken Bolzen (ca. 16 Stück/-Auswerfer) das Teilchen -eine Lehne oder einen Mülleimer- vom Kern. Lichtschranken synchronisieren die Eckpunkte des Ablaufs. Die glatte hochpräzise Form verursacht eine merkwürdige Befriedigung: Sie ist die Verkörperung eines Geheimnisses, das hinter dem Gegenstand steht, der langsam moos- oder bordeauxfarben das Transportband heruntergewackelt und -gerutscht kommt. Die Kraft, die von einem Präzisionsteil ausgeht bekommt durch den Stahlkoloß eine tonnenschwere Hinterfütterung.
Am Schluß die Packer bei Hartman ist Genuß. Dunkle Hautfarben oder zahnlose Inländer stehen an einem Karussell und jeder knallt immer dasselbe Einzelteil auf das vor ihm plazierte Klappstuhlrudiment. Kartons aufklappen, die gefalteten Moosgrünen rein. Zukleben. Ende.

Danach holländische Jogurt und holländische Fritten, ein Junge hatte seine langgestreckte Frikadelle fallengelassen und dann samt Anhaftungen vom City-Clean-Teppich wiederaufgehoben. Kaum eine Minute später knallte ihm die ganze langgestreckte Plastikschale mit dem verbliebenen Teil der langgestreckten Frikadelle runter und ließ eine langgestreckte Rotzspur auf dem City-Clean entstehen. Natürlich wurden die festen Substanzen aufgehoben und weitergegessen. Ein zweiter, dem ersten wohl nicht bekannter gleichaltriger Junge, dessen ganzes Gesicht auf seine markante Profillinie aus der sich die Nase kaum hervortat ausgerichtet zu sein schien, beobachtete das. Er trug ein Hörgerät, ein weißes Hemd unter einer roten Weste, schaute tief in meinen Rucksack, dann genauso tief in meine Augen.
Nach der Sache mit dem Cityclean sagte er zu seinem Vater Mayonnaise. Der andere hatte sich inzwischen soweit es ging verpißt. Dem Vater des Schwerhörigen war die Sache unangenehm, er wollte seine Tüte voll Fritten und Kroketten mit Satésauce nehmen und gehen, anstatt sich mit andererleuts Fehlern abzugeben. Mayonnaise ging noch zum Automatenspieler. Es schien, daß sein Abstand zur tönenden Welt ihn in die Sichtbare quasi hineindrückte.


Markus Mußinghoff Brief

Hi, Sib [...]
überall Monoblock!
Deine Arbeit ist infiziös!
überall räumen irgendwelche Wirte diese Dinger hin und her.
Hantieren mit irgendwelchen Stapeln dieser Ungeheuer herum und verteilen sie des morgens an irgendwelchen Tischen.
Abends alles dasselbe in umgekehrter Reihenfolge.
Im "plus" kleine Monoblockkinderstühl-chen! Grauenhaft!
Ich sehe überall irgendwelche Molekülverbindungen in gestapelter Stuhlform - über-all! - Moleküle gestapelt, entstapelt, verteilt und wieder gestapelt. Es ist die Hölle!
In Berlin, Zürich, Kalkutta, Tel Aviv, Neufundland, Makedonien...
Nomaden auf Monoblocksatteln - Aufbauten auf den Höckern langsam vorsichhinschaukelnder Dromedare - ganze Karawanen, die vor dem flirrenden Horizont hinziehen - eine Fata Morgana!
Mongolen und Beduinen in ihren Jurten mit einem Monoblockgußbänkchen. Und zu guter letzt der Stammesälteste vor seiner Hütte im Regenwald am Amazonas, der seinen Monoblockschaukelstuhl des abends unter einem fröhlichen Singsang von der Veranda in die Hütte schleift.
Das mit den Molekülen hast du mir mindestens zweimal erklärt, doch weiß der Geier, ich kapiers nicht. Oder übertreib ich etwa?

Der Stapelwirt
02.09.95 03:40
Monos abgewetzt, eine Tupperschüssel für Hunde. Es sind die Objekte, die die Ärmlichkeit um sich herum versammeln. Sie ziehen sie an. Als ich die Dias anschaute, hatte ich das eigentümliche Gefühl, sie erzählten Dialoge zwischen den Teilnehmern, neu eingeführte und wiederkehrende Teilnehmer, deren Befindlichkeit genauer oder weniger genau geschildert wird: die beiden grünen Beine zweier benachbarter Stühle, verkratzt, verwundet, nichts trennt sie von der Normalität. Kaugummis, Kippen, Dönerstücke, um den wie ein Windrad konstruierten grünen Tischfuß herum.
Die negative Stufenleiter die Beine herunter, um die winterliche Stapelung zu optimieren, bzw. um mögliche Konstruktionsfehler, die andernfalls bei der Kelleraufbewarung als Klemmen oder Reißen wirksam würden, abzuwehren. Die Geschichte schlägt kleine Kapriolen, kleine Wiederholungen, fast vergessene Teilnehmer tauchen wieder auf, Fremdfunktionäre: gelber Kärcher Gürteltiernachwuchs taucht wie ein alien vom Nachbarplanet Tankstelle auf. Es fehlt was, wenn nicht wenigstens ein spritzgegossener Mülleimer, den wir sonnengebleicht schon vor Haus 1 der Staatsbibliothek gesehen haben, zu finden ist.
Ein Spritzgußteil zu erblicken ist wie einen Stempelabdruck wieder zu sehen. Das Spritzgußteil ist ein dreidimensionaler Abdruck, und das ist nicht nur ein Eindruck, sondern es entspricht den produktionstechnischen Tatsachen.
Einer der Hauptvorteile, die Stapelbarkeit, wird dadurch zunichte gemacht, daß jedes Jahr minimale Varianten der Vorjahresmodelle mit neuen Namen auf den Markt kommen, sodaß einer Expansion der Gaststätte oder der privaten Kommunikationsbereitschaft, nur mit nach Herkunftsjahren getrennten Stapeln beizukommen ist. Kleinere Unternehmen verschieben das Problem durch den Bau eines amorphen, spannungsgeladenen Haufens risikobereit auf den kommenden Frühling. Dann wird alles, untrennbar verkeilt, klamme Kellerstufen hochgewuchtet.

Sibylle Hofter
Land der Logistik I

Spoga-Gafa - Sport- und Garten-Fachmesse, Köln 9/95
Über das hinaus, was Menschen ohnehin verbindet, gab es heute eine Gemeinsam-keit der Messeaussteller mit mir: Der Blick auf die Stühle als Objekte professionellen Interesses. Das vollständige Abgelöstsein von der intendierten Freizeitqualität. Gemeinsam waren uns Fragen nach dem Markt und seinen Gesetzen -wenn auch aufgrund völlig unterschiedlicher Interessen. Ich verstand das Ganze als eine Maschine.
Als Nicht-Kunde, aber dennoch von Interesse, war ich denjenigen, die sich nicht identifizierten ein Ventil um sich distanziert zu äußern. Eine Frau aus der Grazioli-Vertre-tung wies die Möglichkeit einer Betriebsbesichtigung mit der Erzählung weit von sich, sie selbst hätte bei einem Betriebsausflug nach Caneto nur die Spielzeugproduktion sehen dürfen, nicht einmal ihr Chef kenne die Produktion. Man gebe der Konkurrenz auch keine Prospekte. Eine Lichtorgel stahlte die auf einer diagonalen Plattform installierte Kunststoffhollywoodschaukel an. Die Vertreterin fand erst mit mir zusammen heraus, daß das Grazioli Eco-Programm einfach aus Ausschußware der eigenen Produktion zusammengespritzt wird. Curver zeigte sich in derselben paranoiden Lächerlichkeit, ohne eco, aber mit transparent-türkisen, gelben und rosa Sitzgelegenheiten. Der Kettler Marketing-Leiter war in dieser Hinsicht entspannt, hoch genug in der Hierarchie und weit genug in seinem Leben.
Monos kommen mir nicht nur aus Ohren und Mund, sie wachsen schon aus den Zehennägeln. Mono, überall mono, diese Kurve, jene Kurve, immer wieder die wunderbaren Erklärungen. Bei den Israelis trat ein sehr blonder junger Mann auf mich zu und versuchte mich, obwohl ich nach nichts gefragt hatte, an einen anderen Mitarbeiter abzuschieben, Messekommunikationskoller. Einmal hatte ich ihn auch, als ich gerade feststellte, daß die weiße Blockhütte als Blickfang in einem spezifikationsfreien Programm nicht aus Plastik war, trat eine Geschäftsfrau auf mich zu, ich begann von München zu erzählen, unterbrach mich mitten im Satz, hätte eigentlich schon genug und ließ die verwunderte mittelständige Dame alleine.
Rederhythmus: Man bespricht dauernd dasselbe, viele inhaltlichen Festgelegungen verdeutlichen in gewisser Weise die Besonderheiten der Menschen, die Nuancen werden in einer solchen Sprache wichtiger.
Polen mit ihren drei Stühlen, Fototapetenarrangement, einzelnen Tabletts und Schirmständern, lachten verschämt auf die Frage nach einem Besichtigungstermin. Sie hätten Geheimnisse. Ich erklärte ihnen, warum mich gerade eine polnische Firma interessiere, sie lachten weiterhin in ihrer spezifischen Mischung von Verschämtheit und Verachtung, an die ich mich sofort wieder erinnerte. Welche Geheimnisse? Produktionsorganisatorische; ich sei kein Spion; da lachten sie richtig.
Nach den 1½ Tagen Ausnahmezustands-welt irgendwo in einem angenehmen Café in Hamburg, Köln oder Frankfurt. Ich begreife auf welche Art ortsungebunden sie in der Hotelbar sitzen, nicht wissen wo sie sind und Orte für sie keinen Kontext bilden. Die Menschen sind Schemen, Wesen die reden, die sitzen.

Neben mir zwei Asiatinnen, verwirrende Kombination: unterordnende Weiblichkeit in Geste und Stimme, durch die eine inkongruente fast unerbittliche Entschiedenheit hindurchbricht.

Seit Anfang der 80 er Jahre wurden in Europa etwa 500.000.000 Monoblockstühle verkauft. Da keine offizielle Zahl existiert, ist das eine vage Schätzung, die aber wohl nicht zu hoch gegriffen ist, wenn man bedenkt, daß allein der Hersteller des Modells Aurora in den letzten zehn Jahren allein 90 -100.000.000 unter die Leute gebracht hat, und das hauptsächlich in Europa.

High Tech Zirkus I
06.08.95 13:22
Cirque de soleil: Weiß, das Zelt, das Licht, die Autos (-Waschanlage), Zirkus als mobile Fabrik, statt als Wagenburg; auf den zweiten Blick erst kam ich auf den Unterschied zwischen Realität und Vorstellung: in einer Flucht vier weiß blinkende Container mit je mehreren Ausgängen, an jedem hängt eine Alu-Treppe; drunter türkisblaue Behälter mit hellblauen Tüten drin. Zwei Monos davor, Gaderobe. Abendlicht nach einem heißen Tag. Catering-Mobil: Auflieger mit Hardware, und eine nach links ausklappte Ebene derselben Breite, rechts verbindet ein Vorzelt die Küche mit der Sitzebene, die ein Auflieger ohne Dach ist, dessen Spanten als Geländer einer -wieauch-anders- monobestückten Restaurantterrasse dienen. Die Vorstellung läuft. Nur wenige laufen oder sitzen herum, Entspannung an der Peripherie eines Ereignisses. Ereignisproduktion als Alltag. Alutreppe führt hinauf.

Orangefarbenes Licht und aufgewirbelter Staub, Bungeespringer an der an deren Seite des Platzes. Leute investieren 100 Mark um einmal zu sterben.


Paderborn, 20.6.96, High-Tech Zirkus II -Einig in der Hoffnung

Farm Lupina, eine Modellfarm im britischen Truppenübungsplatz ist ein unbewohnter Gebäudekomplex vor dem die gleichen aus Stahlgittern und Sandsäcken aufgebauten Wachtürme errichtet sind, wie vor dem ifor-Camp in der ehemaligen VW-Werkstatt an der Ausfallstraße Mostar-Split. Auch Farm Lupina ähnelt den dortigen verlassenen Höfen (Wirt in der nächsten Siedlung: Nee, die Briten sind fast weg, alle in Bosnien). Rot umkreiste Schilder verbieten Panzern das Befahren der öffentlichen Straße am Rande des Geländes. Mit Minenwarndreiecken umzäunter hellgrüner feuchter Wald. Abgesperrte Straßen.
Dann wenig bepflanzte Offiziersreihenhausgärten; Schilder weisen zu Family Camps für Einig in der Hoffnung in Nebenstraßen. Um das Flugfeld zu erreichen, durchfährt man Schranken, die vor Lebensgefahr wegen marschierender Truppen warnen. Duchfahrende Lieferwagen und Diximietklobatterien auf offenen Pritschenwagen ermutigen zur Nichtbeachtung. Dixis verschiedener Verleihunternehmen, gelb oder braun-blau extrusionsgeblasen.

Die Wolkendecke läßt Sonne ohne Schatten durch. Auf dem Gras sind verbogene Lochbleche als Straßen in der mobilen weißen Stadt ausgelegt. An einigen Stellen verbreitern zerfetzte Sperrholzplatten die Hauptstraße. Dort errichten Firmen mit anhängenden Subunternehmen Vip-Zelte. Monos, Kunstrasen, eingeschweißte Paletten mit Lebendrasenrollen. Die Techniker drei großer WDR-Ü-Wagen rauchen auf den verzinkten Treppen zu Kabeltrommeln und Computerschnittplätzen. Armdicke Drehstromkabel der verschiedenen Unternehmen, Ton- und Telefonkabel vereinigen sich entlang der Hauptstraße. Auf dem Platz für die 80.000 sind die Kabel teilweise von angehobenen Grasschollen verdeckt. Den Platz erreicht man durch einen Durchgang in der Bretterwand unterhalb eines Wachstuchtempels. Hellblau gestrichene Spanplatten sollen eine Basis für diesen Tempel darstellen. Darauf decken Hauben aus Blasenfolie solide, polyesterbezogene Stühle ab. Eine Firma installiert an der Rückwand des Tempels unter Einig in der Hoffnung ein Bronzerelief. Funkgeräte fahren mit dickreifigen Gefährten (zwischen Gocart und Golfrasenmäher) oder Vespas über die zum Tempelgerüst zentrierten Kunststoffmodulpisten. Alle zehn Meter ein orangefarbener Baustromkasten. Gegenüber ultramarine Hausmülltonnen.

Etwa 75.000 ihrer 78.500 Samsonite - Kunststoffklappstühle sind bereits aufgestellt, leere Paletten daneben. Mit Gabelstaplern werden die letzten eingeschweißten mit 2x125 Stück beladenen Paletten auf den Wegen neben den letzten Freiflächen im Feld der 75.000 abgestellt. Ein Kranwagen lädt überzählige Module der Kunststoff-Durchwegung auf und transportiert sie aus dem öffentlichen Bereich heraus. Kleine Gruppen Ostdeutscher aus Subunternehmen und Ausländer treten jeden aufzustellenden Kunststoff-Stahlrohr Klappstuhl von seiner flachen Transportposition in Sitzposition und stellen ihn mit den Vorderfüßen in U-Eisenrinnen. Jemand läuft rum und legt auf jede Sitzfläche mit je einer Regenpfütze ein grünes Drahtstück. Später zwirbeln Gruppen von Leuten in pink-türkisfarbenen Anoraks je ein solches Drahtstück um zwei nebeneinanderstehende Stuhlbeine. ('Gestern für die Presse, die Glocken die ganze Zeit, das war schrecklich; das Radio über dem Platz das ist gut', ein Interwiew mit Frau Bundespräsident Herzog übers häufige Umziehen, dann ein Bericht Arbeitslose zu verpflichten auch minderqualifizierte Arbeit anzunehmen, unterschnitten mit Felicita und Ideal).

Die katholische Kirche vergibt im Angesicht der wohlgelaunten Hundertschaften von High-Tech-Mobilspezialisten Drehgenehmigungen jeweils nur für wenige Minuten. Der Aufbaumarathon erscheint als beste Visualisierungsmöglichkeit des Bedarfsmangels an kirchlichen Aktivitäten.

-Das Ereignis ist zur Logistik geworden

Außerhalb der 80.00 sind weiße Ottoversand-Pavillions aus Bändchengewebe um verschiedene Siebeneinhalbtonner mit aufklappbaren Theken herum aufgebaut; Frühschoppen für alle. Bundeswehrzelte der Johanniter, deren Konvoi sich im Wald zwischen den Warnschildern verheddert hatte. Mobile Kartentelefone der Telekom zu viert auf eigens gefertigten Anhängern installiert stehen an der Seite im toten Winkel des Feldes.

Jenseits der Hauptstraße liegt etwas abseits die nochmals umzäunte Kolonie der Organisationscontainer. Vor der dickbäuchigen Zwischenkontrolle ist eine Reihe Gabelstapler geparkt. Ein Hesse in einem der beiden Berliner Küchenwagen dort redet gutgelaunt übers Dixiklopapier und die bevorstehende Love-Parade. Aus dem Wachstuch des Mitarbeiter-Catering-Zeltes sind rundbogige Öffnungen mit Sprossen herausgeschmolzen und mit transparenter PVC-Folie verschweißt; diese gestattet einen verschwommenen, fast besoffenen Blick auf die Organisationscontainer. In der hinteren Ecke verspeist der dicke Wachschutzmann auf einem extra Stuhl, einem geblümten Alu-Klappsonnenstuhl, seine mitgebrachte Brotzeit.

Der aufkommende Wind bewegt das Wachstuch des Zeltes so gegen die verzinkten Stangen, daß ein Geräusch entsteht, als löse sich schwitzende Haut von einer Kunststoffläche. In jeder Steckverbindung lauert die TÜV-Genehmigung. Neben der Logistik des Geldverkehrs zeigt sich der TÜV als zweiter großer Formgeber der Republik.

aus: Hannes Böhringer, Orgel und Container, Merve Verlag, Berlin, 1993
Die Lücke sehen, heißt sie schon geschlossen haben

Der Container ist ein Behälter für alles Mögliche. Was er enthält, entlädt er. Wenn er leer ist, wird er wieder mit etwas anderem beladen. [...] Der Container ist kein "Geviert", kein "Ding" (Heidegger), er ist ein Zwischending, der Behälter zwischen Fahrzeug und Ladung. Er erleichtert die vorübergehende Beziehung zwischen ihnen, indem er sich zwischen sie schiebt. (S.11)

Der Container ist ein Provisorium. Vorläufig und vorübergehend enthält er etwas, vorläufig und vorübergehend ist er irgendwo hingestellt, immer fertig zum Abtransport und anscheinend bereit, von etwas Endgültigem abgelöst zu werden. Doch das Provisorium zieht sich hin. Und wo immer er abgestellt wird, wirkt er wie ein Magnet der Gleichgültigkeit. Er färbt auf Ladung und Umgebung ab. Die Dinge in und um ihn herum verlieren ihren Halt aneinander, erscheinen isoliert und fremd, sie werden ebenfalls zu indifferenten Behältern von austauschbaren Bedeutungen, inneren Funktionen und äußeren Verkleidungen. Der Container paßt nirgendwohin, er paßt die Umgebung an sich selbst an. Am besten passen deshalb Container zu- (in-, auf- und neben)einander. Der Raum ist zu einem Behälter geworden. (S.12)
[...] Behälter, dem entfällt, was er behällt.

[...] Das Geld [...] ist der ideale Inhalt des Containers. [...] wie der Container seine Ladung, so überdauert auch das Geld das, wofür es ausgegeben werden soll, und zieht es in seine eigene Vorläufigkeit, Austauschbarkeit und Nichtigkeit mithinein. (S.22f)

[...] Das Faß war ein enger Maßanzug. [...] Der Philosoph im engen Maßanzug konnte sich kein Durcheinander erlauben. Das Faß war in Ordnung. Es erfaßte die Welt. Ohne Welt keine Ordnung (kosmos). [...] Der Container ist ebenso Behälter wie Entleerer. Eigentlich behält er nichts. In dieses Nichts wird die Ladung geworfen. (S. 18f)

Stuhl oder Bierkasten?,... zum dritten
Gewicht: Irgendwann schaltete ich nachmittags das Fernsehen ein und schaute, bis ein Telefonanruf mich zurückholte, eine Ratgebersendung über 'Verpackungsschwindel'. Dort hatte man diverse Pritstifte und Kunststoffdosen aufgesägt, man sah sogar den Prüfer an der Découpiersäge. Aus dem Deckel einer Crèmedose hatte er ein schweres Stück Stahl herausgeschält, welches zur Warnung geronn, Inhalt und Seriosität eines Produktes nicht über den Gewichtseindruck abzuschätzen.
Das mangelnde Gewicht der Monos ist einer der Aspekte, warum er im Gegensatz zu einem gepreßten Porzellanteller als Schatten empfunden wird. Hätte sich eine leichtgewichtige Campingausgabe in den Tellerstapel geschoben, wunderte man sich sofort, schätzte sie als irreal ein und stellte sie zurück.
Um Tischplatten Gewicht und Volumen zu geben, verwendet Fa. Hartman Recyclingmaterial als Kern. Bei 6,90 p/Stk verlangt niemand in dieser Weise an der Nase herumgeführt zu werden, vielmehr ist er froh die erworbene Viererserie, auf dem Beifahrerteil seines Vespasattels nach Hause fahren zu können, mit der linken hinterm Rücken das Gepäck im Lot haltend.
Material: Über die Anmutung von Kunststoff ist vielleicht genug gesagt worden.
Schatten: Das was vor Bar 'ohne Ende' steht, ist der Schatten des Spritzgußwerkzeugs. Solange die Herstellungsprozesse nicht bewußt sind, kann er als Gegenstand hingenommen werden.
Name: Daß er namenlos ist, läßt Verdacht schöpfen, denn der terminus technicus ist -trotz millionenfacher Verbreitung- dem Freiluftcafébesucher nicht geläufig.
Sitz-Gelegenheit: Das Nicht-Sitzen wird mit benannt. Der Begriff Stuhl benennt dies nicht. Eine Gelegenheit, benennt keinen Gegenstand, sondern eine Konstellation. Sie beschreibt den Moment und den Platz, da ein Lebewesen auf etwas interessantes trifft (gelegen sein). Die Gelegenheit kann auf einen Zweck hin konzeptioniert sein. Dabei beinhaltet sie aber das Zusammentreffen dieser Vorkehrung mit dem Zufall, -sie macht möglich.
Der Stuhl bezieht seinen Sinn allein aus dem Draufsitzen.
Spreche ich von einer stapelbaren Sitz-Gelegenheit, so benenne ich bereits die Form, die das Nichtsitzen auf der Gelegenheit optimalerweise annehmen wird.
Die Stapelbarkeit ist mit einiger Intelligenz entwickelt und läßt sich auch aus einem einzeln stehenden Mono kaum wegdenken: was irgendwo steht, ist immer ein Teil des Stapels. Die meist existierenden Vier-Sechser-Abschnitte des quasi unendlichen Stapels sind dreidimensionale Wurstscheiben. Nicht ganz, denn eine Wurstscheibe zeigt sich eindeutig als Abschnitt aus einem ganzen Block. Hier handelt es sich um einen Gegenstand, der auf der einen Seite aufgrund seines Zweckes als eigenständig wahrgenommen wird, aber Teil eines Stapels ist, er ist eine vorgeformte Wurstscheibe, die erst durch Zusammenfügen zur Wurst wird. Der Stapel wird immer nur als Ausschnitt auftreten, denn er hat keinen Beginn und keinen Anfang: Man könnte die Welt mit einer Schlange ineinander geschobener Auroras umrunden und wenn man wieder in München ankäme den letzten in den ersten schieben, ohne daß eine Spur die Stelle jemals wieder identifizierbar machte. Die Form des Monos ergibt sich also in diesem Zusammenhang aus den Zwecken Sitzen und Nicht-Sitzen. Das Nichtsitzen ist ein ebenso deutlich wahrnehmbarer Grund für ihn, wie das Sitzen. Im Vergleich zu spritzgegossenen Kunstoffschüsseln liegt eine Steigerung darin, daß die Stapelbarkeit für die Form in einer vom erwarteten Bild eines Stuhls abweichenden Art und Weise maßgeblich ist. Außerdem finden sich selten mehrere Kunststoffschüsseln derselben Ausführung unter der Küchenspüle. Bei den Schüsseln spielt die Stapelbarkeit also meist nur im Vertrieb eine wesentliche Rolle. Im Alltag wird sie soetwas wie ein Einzelstück. (Die Stapelbarkeit ergibt sich hier auch aus dem Produktionsprozeß, würde man die Seitenwände nicht nach unten konisch verjüngen, sondern zylindrisch oder Quaderförmig gestalten, vervielfachten sich die Werkzeugkosten, da nur ein konischer Spritzling leicht von den Formhälften ablösbar ist.)
Zurück zur Frage nach dem virtuellen Ganzen des Stapels, dessen Anfang bereits fragmentiert auf irgendwelchen Müllbergen herumliegt oder wahrscheinlicherweise, zu Fernwärme und Schlacke verfeuert ist und dessen momentanes Ende gerade an pneumatischen Saugfüßen hängend aus der Spritzgußapparatur gewackelt kommt.
(Nach etwa 300.000 produzierten Stücken kommt eine Zäsur, die Spritzlinge bekommen Bärte, die Werkzeugkanten sind unscharf geworden. In der Werkstatt werden sie ersetzt; dabei wird neuerdings der Firmenname in die Rückenlehne eingefräst. Dann gehts weiter, der Ausstoß kommt dem Modell wieder näher.)
Die Frage war: Welchen Stellenwert kann ein Gegenstand haben, der weder ein Ausschnitt aus einem Ganzen ist, noch eine Form hat, die anders, als auf das Ganze bezogen denkbar ist? Erschwerend kommt hinzu, daß das Ganze obwohl endlich, nicht abgeschlossen ist. Ein Auto besteht ja nicht gleichzeitig hinsichtlich der Vereinigung, die es im Stau mit anderen eingeht. Zu diesem Zweck oder auch zum Zwecke des Nicht-Fahrens/Parkens ist es in keiner Weise besonders geeignet. Während der Kotflügel seinen Sinn allein aus dem Eingefügtwerden in ein abgeschlossenes Ganzes bezieht.
Das bereits erwähnte Geschirr wird den Monos in dem Moment ähnlich, da seine Form z.B. als Kantinentasse besondere Merkmale der Stapelbarkeit aufweist, die ohne Nachzudenken vom Benutzer als solche wahrgenommen werden; abgesehen davon, daß sie oft auch aus Kunststoff gefertigt sind. Verirrt sich eine solche Tasse als einzelne auf ein privates Küchenbrett, so bleibt sie, durch ihre Form definiert, Teil des Stapels aus dem sie entwendet wurde. Der ist, wie beschrieben, Ausschnitt eines Stapels 'ohne Ende'.
Positiv könnte man dies als Teilhabe am Großen Ganzen formulieren, wie den Genuß einer Cola oder das Tragen einer Markenjeans. Mit dem entscheidenden Unterschied, daß es sich hier um ein namenloses Ganzes handelt, während alle attraktiven Teilhaben mit dem Genuß des weltumspannenden Namens/Identität verknüpft sind. Es handelt sich hier also um eine Teilhabe an einem Ganzen ohne Identität. So wird auch niemand bereit sein mehr zu zahlen, nur weil es sich um den unlösbaren Teil dieses Ganzen handelt. Eher umgekehrt: aufgrund des niedrigen Preises ist man bereit diese identitätlose Teilhabe in seine nächste Umgebung hineinzulassen.
Die Stapelbarkeit läßt sich nicht, wie bei den Schüsseln geschehen, aus den Erfordernissen der Spritzgußtechnik ableiten. Das Konische als ein Hauptgestaltungsprinzip eines Spritzgußteils bleibt selbstverständlich erhalten, um aber einen stapelbaren Armlehnstuhl daraus zu entwickeln, bedarf es besonderen räumlichen Vorstellungsvermögens. Der Gegenstand kann nicht nur aus dem Spritzgußwerkzeug heraus gedacht werden (möglichst wenig Teile, die nach verschiedenen Richtungen voneinander getrennt werden müssen, mindestens zwei, Schüsseln etc., Stühle sind nicht mit weniger als drei Werkzeugteilen zu schaffen). Gleichzeitig muß er aus den Erfordernissen der Stapelbarkeit heraus gedacht werden, wobei das konische Prinzip auch eine wichtige Rolle spielt: Weil die Beine einen L-förmigen Schnitt haben und um etwas mehr als die Wanddicke dieses Ls ausgestellt sind, wäre die Form eines stapelbaren Hockers dieselbe wie die eines bloß spritzgegossenen. Mit der Einführung der Lehne wird es notwendig das Werkzeug in drei Teile zu segmentieren, die sich nach verschiedenen Richtungen öffnen. Dies nenne ich hier einmal einen dreidimensionalen Prozeß, während dementsprechend die Fertigung eines spritzgegossenen Hockers ein zweidimensionaler wäre.
Sollen die Rücken- und Armlehnen verbunden werden ohne die Stapelbarkeit zu beeinträchtigen, muß die gemeinsame Lehne von den Hinterbeinen des darauf zu stapelnden Stuhls durchstoßen werden, ohne an ihr festzuhaken. Der Stapelungsprozeß ist in der oben beschriebenen Bedeutung ein zweidimensionaler Prozeß. Die gestalterische Freiheit, die durch die Dreiteilung des Werkzeugs gewonnen wird, muß also in Hinsicht auf diese Zweidimensionalität der Stapelung genutzt und eingeschränkt werden.
Diese Beschreibung der Konstruktionsprobleme kreist die Antwort auf die Frage etwas ein, welche Position der Monoblock im Raum zwischen Einzelgegenstand und Ausschnitt eines virtuellen Ganzen einnimmt. Hiermit wird er zum Teil zweier Ganzer, des Stapels und des Werkzeugs. Daß er nicht ohne sein Werkzeug zu denken ist, spielt in der Realität seines auf-dem-Balkon-Stehens im Gegensatz zur Stapelbarkeit keine bewußte Rolle. Das einzige, was der Balkonist ohne Hintergrundwissen von diesem Zusammenhang wahrnehmen kann, ist das einheitliche Konstruktionsschema, das auf keinem der umliegenden Balkone und Freiluftcafés durchbrochen wird. Ohne Wissen um Gußtechniken kann er so auf ihre Notwendigkeiten rückschließen.
Diese Notwendigkeiten vermitteln sich zunächst als Gefühl (von dem auch ich ausgegangen bin). Das heißt, die Fragen stellen sich aus dem Gegenstand selber.
Sie lassen sich zwar besser einkreisen, wenn man sich den Produktionsprozeß klarmacht, der Gegenstand selbst ist es, der diese Fragen aufwirft.
Diese Fragen waren bereits im ersten Entwurf spontan als Thesen formuliert: 'Er ist kein Stuhl, sondern ein Bierkasten, auf dem man sitzen kann'. Die statements, die uns bereits zugegangen sind, bestätigen das: Aufs unterschiedlichste formuliert findet sich dieser Gedanke in fast allen. Die meist mündlich formulierte Gegenposition ist eher eine Nicht-Position, die ihn als billige und praktische Selbstverständlichkeit hinnimmt und manchmal fragt: was ist mit Recycling?.

Der Film-Videos in der Ausstellung Arbeitsbericht und Parallelität - Filmzeit

Wie zu Anfang schon gesagt, gehört als gleichwertiger Teil ein Film für das ZDF, Kleines Fernsehspiel, zum Aurora-Projekt.
In dem Rahmen sind u.a. die Interviews entstanden. Auf dem Königsplatz haben wir 3 Tage mit 2 Kameras den Auf- und Abbau von 9.000 Monoblocks für das Liza-Minelli-Konzert gedreht. Es gibt Einzelbildanimationen, (Objektanimationen, wie wachsende Stühle und Verwandlungen der Realität in Draht).
Aus einem Teil der Aufnahmen sind die Videos für die Ausstellung entstanden. Diese sollte man eher als einen Zwischenbericht, denn als Filme auffassen.

In Ausstellungen finden optische und akustische Ereignisse parallel statt. Dort macht der Zuschauer die Zeit, bleibt stehen, geht weiter...
Der Film dagegen ist ein Ereignis, das im wesentlichen daraus besteht, Bilder und Töne in einen linearen Zeitrhythmus zu setzen.
Deshalb ist ein Band in einer Ausstellung etwas entschieden anderes als ein Film.

Land der Logistik II

Norditalien ist der Hauptproduktionsstandort in Europa. Einer der größeren Herstel-ler, die Firma Progarden, die unter anderem das Modell Aurora produziert, stellt 10 Millionen Monos im Jahr her, ist damit aber weit von einer Monopolstellung entfernt.
Alles zusammengenommen produzieren sie ca. 18 Millionen spritzgegossene Gar-tenmöbel mit insgesamt 190 Mitarbeitern.

D.h. sie brauchen für 95.000 Stühle im Jahr einen Mitarbeiter. Also wird für knapp 50 Pfennig an jedem Stuhl gearbeitet (aus den Maschinen genommen, verpackt (80%, gelagert und verwaltet 20%)
Materialherstellung, Transport und Verkauf kommen dazu.

Von 1989 bis 1992 hatten sie ihre großen Produktionssteigerungsraten.

Große Firmen in Deutschland, Holland und Frankreich produzieren breitere Produkt-palletten mit mehreren tausend Angestellten (u.a. Gartenmöbel aus Metall oder Holz, Kissen, Zelte, Fahrräder, Badezimmereinrichtungen, Spielzeug etc.). Aber auch Kettler und Hartman sind noch Familienunternehmen.

Der Ladenverkaufspreis setzt sich nach meinen Recherchen in etwa so zusammen:

Produktion
pro-ducere 1a) vor-führen b) Truppen ausrücken lassen, 2a) weitervorziehen b) weiter ausdeh-nen c) hervorbringen (auch erziehen) d) (zeitl.) hinhalten e) jd. befördern -productio - das Hin-ausschieben, (pro-dare weiter-geben/ hervorbringen


OTTO -die Symmetrie
Die Festung: Ein unübersteigbares Drehkreuz, welches sich durch eine passende Codekarte in Bewegung setzen läßt. Rot als Firmenfarbe, und PP ist der Werkstoff. Es werden Normbehälter für das hergestellt, was bis vor ein paar Jahren noch Abfall hieß. Was sollen wir hier? Neuruppin: Wir sind ausgezogen um Monoblockstühle anzuschauen und landen bei der Firma gegenüber, dasselbe Material, dieselbe Technik.
Farbcode: braun-bio, blau-Pappe, gelb-Duales System und grau-der dreckige Rest, Glas hat keine Farbe.


Saaltochter, 17.09.1995

Ein Einfamilienhaus aus DDR Zeiten, eine Familie, die den Geruch des kleinen Sees ausgenutzt hat um ein Sonntagscafé zu eröffnen, die Tochter macht mit und eine Saaltochter, ich hatte nie den Eindruck je eine gesehen zu haben. Ein Paar vor zwei Kännchen: er sagt er könne nicht lesen, ohne daß seine Gedanken woanders sind, fernsehen nur wenn etwas Interessantes käme. Eine Familie, die von Eis oder Waffeln redet, an allen Tischen wird auch geschwiegen.


Progarden- Formbau
Halle hinterm ehemaligen Wohnhaus der Familie Proserpio. Werkzeugschlosserei: 15 Arbeiter und Werk-zeugbauer sägen, schweißen, bohren, fräsen, schleifen. Sie stellen mit großer Sorgfalt Ersatz für abgenutzte Formen her.
In einer Ecke eine Karavane alter Polyesterprototypen.
In einer 6x10 Meter messenden Grube ist eine Lochfräse gelagert, bei deren Arbeit nicht das Werkstück um den rotierenden Fräskopf bewegt wird, sondern die gesamte 5 Meter hohe Maschine so schwingt, daß das Loch die gewünschte Form annimmt.
Ein älterer Meister bearbeitet eine fast fertige Spritzgußform mit einem Zahnarztbohrer. Die Bohrmaschine sieht aus wie ein Tier, dreißig Jahre alt und fährt schwenkbar auf einem dreirädrigen Wägelchen.
Hier entstehen massive Objekte, deren Komplexität, Handwerklichkeit, Kraft und matter Glanz für den Be-trachter in krassem Widerspruch zu der Labberigkeit der erzeugten Sitzgelegenheiten stehen.